Zivilcourage im Landkreis Ebersberg wird ausgezeichnet

München/Landkreis Ebersberg · Mutiges Eingreifen

Die Bundespolizei hat mit sechs neuen DB-Schulbegleitern weitere Verstärkung bei ihrem Bemühen um Ordnung und Frieden bekommen.	Foto: Föll

Die Bundespolizei hat mit sechs neuen DB-Schulbegleitern weitere Verstärkung bei ihrem Bemühen um Ordnung und Frieden bekommen. Foto: Föll

München/Landkreis Ebersberg · Im Landkreis Ebersberg wachsen mutige Jugendliche heran: Am vergangenen Freitag erhielten nach der Zertifizierung einiger Realschüler vor wenigen Wochen sechs weitere DB-Schülerbegleiter im Vaterstettener Humboldt-Gymnasium ihre Zertifikate und Ausweise, am kommenden Freitag wird Shehride Ademi aus Zorneding, die die Hauptschule in Vaterstetten besucht, von Bürgermeister Robert Niedergesäß für ihr couragiertes Eingreifen bei einem Verletzten ausgezeichnet.

Rangeleien auf dem Bahnsteig, die schnell eskalieren können, dürften in Baldham demnächst der Vergangenheit angehören. Insgesamt 45 DB-Schülerbegleiter wurden in den letzten beiden Jahren jeweils in den achten Klassen in Vaterstetten ausgebildet – 2009 nur am Humboldt-Gymnasium, in diesem Jahr auch an der Realschule Vaterstetten. Die sechs Neulinge Sophie Zollner, Angelika Rett, André Thomaser, Stefan Schwenkert, Jakob Bouacha und Stefan Stein können sich somit auf die Erfahrung »alter Hasen« stützen.

Aufgabe der DB-Schülerbegleiter ist es, bei Streitigkeiten unter Mitschülern einzugreifen oder auf ungehöriges Verhalten hinzuweisen. Doch wie macht man das, ohne selbst zum Angriffsobjekt zu werden? »Keine Warum-Fragen stellen, keine, auf die der andere nur mit ›ja‹ oder ›nein‹ antworten kann, und immer höflich bleiben«, erklärt der frisch ausgebildete Stefan Stein. Es erfordere tatsächlich etwas Mut, auf Mitschüler zuzugehen, »aber ich habe auch gemerkt, dass dadurch mein Selbstbewusstsein wächst«, erklärt der Gymnasiast.

Schließlich ist er ja auch nicht alleine, denn oberstes Gebot der DB-Schülerbegleiter ist: Immer im Team handeln. Sich nicht in Gefahr bringen, nicht provozieren und Vorbild sein sind drei weitere Leitsätze, die auch auf der Rückseite des Ausweises stehen. 20 Unterrichtsstunden, verteilt auf sechs bis acht Wochen, haben die Schüler für ihre Ausbildung absolviert, in der sie auch mal die Notbremse in der S-Bahn ziehen durften.

Insgesamt 300 DB-Schülerbegleiter hat die Bundespolizei seit Beginn des Projekts im Jahr 2004 in den Landkreisen rund um München ausgebildet. »Das sind genauso viele wie Polizisten, die im Münchner S-Bahn-Bereich – das größte Netz in Deutschland – eingesetzt werden«, erklärte Thorsten Ledinsky, stellvertretender Inspektionsleiter München. »Wir können nicht überall sein, deshalb sind wir froh über eure Unterstützung.« Und die scheint zu fruchten: Trainer Klaus Figur berichtete, dass der Vandalismus und die Rangeleien auf dem Bahnsteig in Baldham seit dem Einsatz der DB-Schülerbegleiter zurückgegangen sind.

An Münchner Schulen würden keine Schülerbegleiter ausgebildet, weil die Schüler aufgrund der verschiedenen Schulwege nur schwer Teams bilden könnten, und an Hauptschulen seien ebenfalls keine Ausbildungen vorgesehen, weil die Schüler selten mit der S-Bahn kämen, erklärte Figur. Mit dem DB-Schülerbegleiter-Projekt will die Bundespolizei auch Zivilcourage stärken. Denn wie im Fall Brunner letztes Jahr passiert es nur allzu häufig, dass in brenzligen Situationen niemand eingreift. »Viele Menschen wissen oft nicht, wie sie sich richtig verhalten sollen und tun dann lieber gar nichts«, erklärt Thilo Stock, Security-Manager der Münchner S-Bahn. Außerdem gebe es eine sogenannte »negative Gruppendynamik«. »Da denkt jeder: ›wieso soll ich eingreifen, hier sind doch noch andere‹«. Sein Tipp: Nicht anonym in die Menge rufen: »Hilf doch mal einer«, sondern ganz gezielt den Nachbarn oder eine andere Person bitten, gemeinsam einzugreifen.

Erste Hilfe geleistet

Diese Erfahrung musste auch Shehride Ademi machen. An der Bushaltestelle am Goetheplatz in München sah sie einen Mann von der Bank kippen, der regungslos am Boden liegen blieb. Die 16-Jährige rannte mit ihrer Freundin hin, um zu helfen. »Der Mann blutete irgendwo im Gesicht und als meine Freundin das Blut gesehen hat, verfiel sie in einen Schockzustand. Sie hatte das Handy in der Hand, aber sie konnte nicht die Nummer vom Notarzt wählen«, erzählt Shehride. »Ich habe dann versucht, den Mann in die stabile Seitenlage zu bringen, aber er war sehr schwer, also habe ich um Hilfe gerufen, aber keiner hat sich gerührt. Es standen ungefähr 15 Leute herum, ein paar haben mit Freunden telefoniert und gesagt: ›Hey, hier ist was los‹, aber keiner hat den Notarzt verständigt«.

Shehride schaffte es dann selbst, den Mann zu drehen und mit dem Handy der Freundin den Notarzt zu alarmieren. »Zum Glück haben wir in der Schule mal einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht«, sagt sie. Nachgedacht hat sie in diesem Moment nicht. Auch damals nicht, als sie ein Praktikum in einem Supermarkt machte und einen Dieb erwischte. »Ich hab dem Mann gesagt, er soll das sein lassen, das sei nicht in Ordnung, aber er zog ein Messer«. Shehride handelte richtig: Sie ging zu ihrer Chefin und informierte sie. »Ich bin von meinen Eltern erzogen worden, immer zu helfen«, sagt sie schulterzuckend. Vielleicht möchte sie deswegen gerne eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten machen. »Ich hatte schon einen Probetag bei einem Arzt hier in Zorneding und ich habe ein gutes Gefühl«, sagt sie stolz. Zurzeit lernt sie für ihren qualifizierten Hauptschulabschluss, am 10. Mai beginnen die Prüfungen. Die wird sie dann mit einer Ehrenurkunde für Zivilcourage der Gemeinde Vaterstetten in der Tasche antreten – vielleicht mehr wert als gute Noten. Sybille Föll

Artikel vom 04.05.2010
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