Bogenhausen · »Nur Singen reicht nicht«

»Engel des Alltags«: Annemarie Scharnagl zusammen mit Pfarrer Markus Rhinow. Foto: hgb

Bogenhausen · Die Augen glänzen, die Stimme klingt heiser: »Ist der schee«, freute sich Annemarie Scharnagl, als sie den schneeweißen Porzellanengel betrachtete. Die Figur ist Symbol der Aktion des Bogenhausener Anzeigers »Engel des Alltags«. Den hat die 84-Jährige auf Vorschlag von Pfarrer Markus Rhinow von der Nazarethkirche in der Parkstadt Bogenhausen für ihr grandioses jahrzehntelanges Engagement in der Ökumene erhalten.

Außerdem einen 100-Euro-Gutschein für das pep mit freundlicher Unterstützung des Einkaufszentrums. »Sie ist quasi die ehrenamtliche Chefin der Kirchengemeinde, sie steht wie ein Fels in der Brandung«, lobt der Pfarrer die trotz ihres hohen Alters mit Herz und Verstand für die Versöhnung der Konfessionen wirkende Seniorin.

»Es genügt nicht, miteinander Kaffee zu trinken und zu singen«, betont die einstige Vertrauensfrau des Kirchenvorstands. Und entsprechend hat Annemarie Scharnagl, die seit mehr als einem halben Jahrhundert, knapp 55 Jahre, als eine der Ersten in der Parkstadt lebt, gewirkt und gehandelt. »Sie lebt die Ökumene, sie ist Organisatorin und Impulsgeberin, sie bleibt stets hartnäckig an der Sache, sie ist offen, direkt und ehrlich, sagt, was sie denkt, sie weiß, was sie will – und sie ist meine neutrale Kritikerin«, beschreibt der Pfarrer die Wesenszüge der Geehrten. Annemarie Scharnagl ist der »Motor des Miteinanders, sie kennt alle wichtigen Leute – und ich spüre die Wirkung und Ausstrahlung«, fasst Rhinow zusammen. Vor dem Hintergrund, dass ihre Mutter, ihr verstorbener Mann und ihre Kinder katholisch sind und sie evangelisch ist, wirkt das Bestreben verständlich und einleuchtend, Menschen aller Glaubensrichtungen zusammenzubringen.

Annemarie Scharnagl, die aus dem Egerland stammt, hat schon als junge Frau »ihren Mann gestanden«: Nach dreijährigem Praktikum studierte sie in Weihenstephan Gartenbau mit dem Abschluss als Gartenbauingenieurin. Kurz danach zog sie nach Bogenhausen in die Beblostraße, 1956 heiratete sie – getraut von Matthias Defregger, seinerzeit Weihbischof im Erzbistum München und Freising, engagierte sich umgehend in der Nazarethgemeinde, zog zwei Kinder groß. Kirche und Beruf – diese zwei Linien prägen bis heute ihr Leben. »Ohne meinen Garten kann ich nicht leben«, betont die rüstige Seniorin.

Wann immer ihr es auch möglich ist, geht sie in ihr Kleingartenidyll am Denninger Anger. Dort hegt und pflegt sie einen alten Apfelbaum, »die Sorte, ein böhmischer Brünnerling, die gibt’s heute nicht mehr«, versichert die Fachfrau in Sachen Gartenbau. Dass Kirche und Garten durchaus zusammenpassen, war für Annemarie Scharnagl von vornherein klar: Seit langem organisiert sie, natürlich unter Mithilfe Gleichgesinnter, alljährlich einen Gottesdienst in der Kolonie, »eine Freiluftkirche eben«, wie der Pfarrer schmunzelnd erläutert.

Doch Annemarie Scharnagl wäre nicht Annemarie Scharnagl, würde es nicht noch eine weitere große Liebe geben. Es ist das Italienische, die Sprache, die sie rundum beherrscht, die sie immer wieder im Kulturinstitut übt, um »in Form zu bleiben, damit ich auch 2010 nicht einroste«. So kann sie perfekt ihre Kontakte bis nach Venedig pflegen, denn »wir sind eine große Familie.«

Zu dem »Buon Natale« bringt die Bogenhauserin an Weihnachten eine Laterne in die zwei Kirchen in der Nachbarschaft und entzündet das »Friedenslicht aus Bethlehem«. Vor einigen Tagen hat Annemarie Scharnagl »eine brennende Kerze aus dem Münchner Dom geholt«. Seither flackert bei ihr zu Hause das Friedenslicht 24 Stunden am Tag. Helmut G. Blessing

Artikel vom 22.12.2009
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