Mobiler Suchtberater Wolfgang Kiehl war in Vaterstetten unterwegs

Vaterstetten · »Nein« zu Drogen heißt »Ja« zu Dir

Vaterstetten · »Freilich kenne ich jemanden, der wegen Alkohol schon auf der Intensivstation aufgewacht ist«, sagt eine 15-jährige Schülerin, und die Freunde drumherum nicken zustimmend. Das ist der Alltag. Die Jugend kommt heute sehr früh mit Alkohol in Kontakt – zu früh und vor allem zu intensiv. Die familiären Strukturen haben sich geändert. In Gesellschaft und Familie fällt nicht mehr rechtzeitig auf, wenn der Nächste ein Problem hat.

Das ist oft der Anfang der Sucht, sich Erleichterung durch Drogen zu holen. Dieses Thema taucht zwar regelmäßig in den Medien auf, stößt aber offenbar immer noch nicht auf genug Interesse: Nur gut 40 Zuhörer, davon fünf Jugendliche, waren im Vaterstettener Rathaus erschienen, als Wolfgang Kiehl, der erste »mobile Präventionsberater« sein Konzept Eltern, Lehrern und Vereinen vorstellte, bevor er tags darauf im Humboldt Gymnasium direkt mit den Jugendlichen diskutierte. »Alkohol ist ein großes Problem in Deutschland. Damit werden die Kinder groß«, sagt er. Schon mit acht Jahren hätten die meisten Kids schon einmal Alkohol zu sich genommen. Die Jugend trinke nicht einfach um erste Erfahrungen mit dem Alkohol zu machen, sondern um sich bewusst in den Rausch zu trinken. Sie konsumierten Hochprozentiges oder mischten Spirituosen – dies führe zum Phänomen des »Komasaufens«, erklärte Kiehl. Da sich das jugendliche Gehirn noch im Wachstum befinde merkten die Kids erst ab zirka 1,6 Promille etwas. Schlagartig könnten sie ihre Motorik nicht mehr steuern.

Reden ist das Wichtigste

Derweil hörten sich die Fragen der anwesenden Mütter doch besorgniserregend an: »Wie reagiere ich, wenn ich meine, mein Kind trinkt?« »Reden«, antwortete Kiehl, »das ist das Wichtigste«. Wolfgang Kiehl zog seine Zuhörer in den Bann, indem er schlicht seine eigene Geschichte erzählte: Er fand zuhause niemanden zum Gespräch und kam bereits mit zwölf Jahren auf die schiefe Bahn: Alkohol, sämtliche Drogen die man sich denken kann.

Durch eigene Geschichte zum Helfer geworden

Acht Jahre war er heroinabhängig, klaute, um sich den Stoff besorgen zu können, und saß schließlich auch dafür im Gefängnis. Am Ende hat er mehrere Jahre gebraucht, um mit Hilfe einer Drogentherapie den Ausstieg zu schaffen. Er holte sein Abitur nach, studierte und gründete den Verein »Suchtmobil e.V.«, um überall dorthin fahren zu können, wo er gebraucht wird. Ob im Fußballstadion, in Schulen, Jugendzentren oder auch an seiner telefonischen Hotline – Kiehl erzählt allen, was er selbst erlebt hat und niemand anderem zu erleben wünscht. Nun ist er vom Saulus zum Paulus geworden und berät sogar die Junkies im Gefängnis. Nicht selten trifft er heute noch Ehemalige aus seiner damaligen Therapiegruppe – es schaffen eben nicht alle. Die Quote liegt bei zirka 68 Prozent nach zwei Jahren Therapie. »Aber man darf es einfach nicht so weit kommen lassen«, so Kiehl, dafür steht seine Präventionsarbeit.

Junkies sind anfangs nicht zu erkennen

Hinsehen, zuhören, reden ist seine Devise, denn Abhängige fallen anfangs nicht auf. »90 Prozent der Junkies sind in den ersten zwei Jahren der Sucht nicht zu erkennen«, weiß er, »sie waschen sich, sie putzen sich die Zähne. Doch nach zwei Jahren ist es zu spät, da sind die Kids abhängig und ohne eine Therapie nicht mehr ins normale Leben zurückzubekommen.« Und er betont nochmals, wie wichtig das offene, vertrauliche Gespräch in der Familie ist. Missbräuchlicher Alkoholkonsum entsteht meist, weil sich die Jugendlichen schöne Gefühle herbeitrinken möchten. Hinzu kommt der Mitläufereffekt: Sind Freunde in der Clique anfangs noch stabil, weichen die Grenzen immer mehr auf, und irgendwann wollen sie dazugehören, auch erleben wie viel schöner man durch den »Genuss« von Drogen die Welt sieht, hört und fühlt. Sie wollen die Sisyphosfrage beantwortet haben: »Was macht das Zeug mit mir?« An den Stoff heranzukommen ist über den Kumpel auch kein Problem. Negative Auswirkungen, die Empfindungen wenn der Trip nachlässt, erzählt keiner. Traurige Bilanz So geraten Jugendliche in den negativen Sog. Das traurige Ergebnis: Mehr als 100.000 Tote zählt die Statisitk in Deutschland durch missbräuchlichen Drogenkonsum. »Ich werde süchtig bleiben bis an mein Lebensende«, gesteht der Drogenberater, »aber nicht mehr abhängig«. Dieser Satz sitzt bei den Zuhörern. 12.000 Menschen erzählt Kiehl jedes Jahr seine Geschichte. »Das ist wie Steinekloppen«, gesteht er, aber wenn er jedes Mal nur ein bis zwei Jugendlichen helfen kann, dann hat sich für ihn seine Arbeit bereits gelohnt. Er ist sich sicher, nach seinen Vorträgen bei 60 Prozent der Jugendlichen eine Einstellungsänderung bewirken zu können. Was er den Kids eintrichtert: »Sag NEIN zu den anderen, dann sagst Du JA zu Dir«.

Stefanie Ederer

Artikel vom 16.12.2009
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