Münchner Frauennotruf erhofft sich mehr Aufmerksamkeit mit provokanten Plakaten

München · „Frauen sind kein willenloses Spielzeug“

Mit neuen provokanten Plakaten tritt der Frauennotruf München an die Öffentlichkeit: hier ein Plakat im Sperrengeschoss an der U-Bahn-Station Sendlinger Tor.	Foto: SE

Mit neuen provokanten Plakaten tritt der Frauennotruf München an die Öffentlichkeit: hier ein Plakat im Sperrengeschoss an der U-Bahn-Station Sendlinger Tor. Foto: SE

München · Der Frauennotruf München sorgt auch dieses Jahr mit seiner Plakataktion für Aufregung. Eines der Plakate zeigt zum Beispiel den Unterleib eines weiblichen Hampelmanns mit dem Text: „Frauen sind kein willenloses Spielzeug.“ Mit derartigen provokanten Motiven will der Frauennotruf Täter ansprechen und ihnen eindeutige Grenzen aufzeigen.

„Außerdem wollen wir natürlich betroffenen Frauen, die häusliche Gewalt oder sexuellen Missbrauch erlebt haben, Mut machen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen“, erklärt Geschäftsführerin Simone Ortner.

Kein Zusammenhang zur Bildung

„Das Bild, das sich die Öffentlichkeit von misshandelten Frauen und den Täter macht, ist stark von Stereotypen geprägt“, meint die Wissenschaftlerin Monika Schröttle vom Interdisziplinären Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Bielefeld. So sei häusliche Gewalt in den letzten Jahren vor allem als Problem von Migrantinnen wahrgenommen worden, erklärt sie. In einer von Schröttle durchgeführten repräsentativen Untersuchung zur Gewalt gegen Frauen in Deutschland fand sie allerdings heraus, dass es keinen einfachen Bildungs- und Schichtzusammenhang in Bezug auf schwere, körperliche und sexuelle Gewalt gebe. Mit diesen Ergebnissen überraschte sie auch die Fachöffentlichkeit. „70 Prozent der Frauen, die in ihrer Ehe schwere körperliche, psychische und sexuelle Misshandlung erlebt haben, verfügten über ein eigenes Einkommen, ein Drittel von ihnen sogar über ein mittleres bis hohes Einkommen“, berichtet Schröttle. 38 Prozent der Betroffenen hatten Abitur oder einen Hochschulabschluss. Das Problem mit dieser Gruppe von Betroffenen sei, dass sie sich selten an entsprechende Hilfeeinrichtungen wenden: „Deshalb werden sie in der Öffentlichkeit einfach nicht sichtbar“, erklärt Schröttle.

Anonymes Krisentelefon

Frauen aller Schichten und jeden Alters aufzufangen und ihnen zu helfen, ist die Aufgabe des Frauennotrufs München. Betroffene Frauen finden dort kompetente Beratung und Therapieangebote. „Wir können in unserem Haus sogar langfristige Therapien kostenlos anbieten“, erklärt Ortner. Zudem begleiten Beraterinnen des Frauennotrufes ihre Klientinnen auch bei möglichen Prozessen gegen die Täter. Eines der wichtigsten Angebote des Frauennotrufes ist das Krisentelefon, das täglich von 18 bis 24 Uhr von erfahrenen Trauma-Beraterinnen wie Cordula Weidner betreut wird. Für sie funktioniert das Krisentelefon vor allem deshalb als „Eintrittstür“ für betroffene Frauen aller Schichten, weil sie anonym bleiben können. „Ich hatte schon ganz unterschiedliche Frauen, die aus ganz verschiedenen Lebensumständen kommen, am Telefon“, berichtet Weidner. Bei der Betreuung am Krisentelefon geht es vor allem darum, der Frau bei ihren akuten Problemen und Ängsten zu helfen. „Einige Frauen, die anrufen, zeigen oft selbst schädigendes Verhalten, wie Selbstverletzungen oder Suchttendenzen, die wir dann versuchen abzuwenden“, so Weidner. Ein besonderes Angebot des Frauennotrufs ist die Beratung und Therapie für Frauen über 60. „Einige dieser Frauen haben körperliche oder sexuelle Misshandlungen während der Kriegs- und Nachkriegszeit erlebt“, erläutert Weidner. Oft haben die damit zusammenhängenden inneren Konflikte ein Leben lang geruht und brechen erst im gehobenen Alter wieder aus. „Erinnerungen, die man viele Jahre verdrängt hat, werden plötzlich wieder belastend“, so die Beraterin.

München ist kein gefährliches Pflaster

Was München betrifft, so ist die Zahl der gemeldeten Vergewaltigungen im letzten Jahr um 7,1 Prozent angestiegen, wie aus dem Sicherheitsreport 2008 des Polizeipräsidiums München hervorgeht. Die Fachfrauen vom Frauennotruf führen diesen Anstieg allerdings nicht darauf zurück, dass München ein gefährliches Pflaster ist. Vielmehr vermuten sie, dass inzwischen mehr Münchnerinnen den Mut aufbringen, Gewalttaten zur Anzeige zu bringen. Die Dunkelziffer der sexuellen Misshandlungen sei trotzdem wahrscheinlich noch sehr hoch, vermutet Ortner. Auch Monika Schröttle fand in ihren Untersuchungen heraus, dass 78 Prozent der Probandinnen noch nie mit jemandem über die erlebte Gewalt gesprochen haben, auch nicht mit der besten Freundin. „In München haben wir glücklicherweise ein sehr gutes Netzwerk der Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justiz und Hilfsinstitutionen“, bestätigt Weidner. Die Beratungsstelle des Frauennotrufes München erreichen betroffene Frauen oder Angehörige werktags von 10 bis 18 Uhr unter Telefon 76 37 37. Unter der selben Rufnummer ist das Krisentelefon täglich von 18 bis 24 Uhr besetzt.

Von Sabrina Eisele

Artikel vom 10.12.2009
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