Münchner Träger sieht Dienstzeitverkürzung sehr kritisch

München · Servus Zivildienst?

Zivildienstleistender Thomas Antoniol (Mi.) und Franz Poller, Teilnehmer im Freiwilligen Sozialen Jahr (re.), unterstützen einen Beschäftigten des Heilpädagogischen Centrum Augustinum bei seiner Arbeit. Foto: sm

Zivildienstleistender Thomas Antoniol (Mi.) und Franz Poller, Teilnehmer im Freiwilligen Sozialen Jahr (re.), unterstützen einen Beschäftigten des Heilpädagogischen Centrum Augustinum bei seiner Arbeit. Foto: sm

München · Wehr- und Zivildienst sollen laut Koalitionsvertrag der Bundesregierung ab 2011 von neun auf sechs Monate verkürzt werden. Nun gehen Diakonien und Wohlfahrtsverbände davon aus, dass in manchen Bereichen Zivildienstleistende nicht mehr eingesetzt werden können. Auch das Heilpädagogische Centrum Augustinum (HPCA), in dessen Einrichtungen in und um München Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit geistiger und Mehrfachbehinderung betreut werden, sieht die geplante Verkürzung des Zivildiensts sehr kritisch.

„Ich halte das für äußerst bedenklich. Ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Zivildienstleistenden und unseren Beschäftigten kann in dieser kurzen Zeit kaum mehr aufgebaut werden“, klagt Jutta Simon, die Leiterin der HPCA-Werkstätten. Besonders im Umgang mit Behinderten ist eine gewisse Einarbeitungszeit notwendig.“

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In den HPCA-Werkstätten gibt es für die Behinderten eine Reihe von Arbeitsmöglichkeiten, wie zum Beispiel Verpackungs- und Montagearbeiten, Küche und Hauswirtschaft, Gärtnerei, Metallbearbeitung, Lager und Kunstwerkstatt. Die Aufgabe der Zivildienstleistenden ist in erster Linie, die Beschäftigten bei ihrer Arbeit zu unterstützen und die Abläufe zu koordinieren. „Die Behinderten arbeiten sehr unterschiedlich, manche sind sehr selbstständig, andere brauchen bereits bei Kleinigkeiten Hilfe“, erzählt HPCA-Zivi Thomas Antoniol. Da man die individuellen Stärken und Schwächen jedes Einzelnen erst kennen lernen muss, sieht auch er eine Verkürzung des Zivildiensts auf sechs Monate problematisch: „Wenn man Urlaub und Fortbildungen abzieht, bleiben ja nur noch vier Monate übrig. Das ist definitiv zu wenig“, sagt der 20-Jährige, der die Beschäftigten im Lager betreut und den Warenausgang kontrolliert.

Sollte der Zivildienst auf sechs Monate verkürzt werden, fürchtet Leiterin Jutta Simon eine „Krise für den pädagogisch-sozialen Bereich“. Sie schätzt, eine Verkürzung wäre „der Anfang vom Ende des Zivildiensts“. Zumindest könne sie sich nicht vorstellen, weiterhin Zivis für die Behindertenbetreuung zu beschäftigen. „Den ständigen Wechsel der Bezugsperson können wir unseren Beschäftigten nicht zumuten. Lediglich für den Mobilen Fahrdienst – den das HPCA jedoch ausgegliedert hat – würden dann noch Zivildienstleistende in Frage kommen. „Da wird ja schließlich keine soziale Bindung aufgebaut“, sagt die Werkstättenleiterin.

Doch wie sollen die personellen Defizite im sozialen Bereich nun aufgefangen werden? Die FDP-Fraktion im Münchner Rathaus fordert ein Konzept, das die Landeshauptstadt in Kooperation mit den Wohlfahrtsverbänden und den privaten Einrichtungen entwickelt. Ziel sei es, „das freiwillige Soziale Jahr und andere Formen ehrenamtlicher Tätigkeiten so attraktiv auszustatten, dass sie in der Lage sind, einen späteren Wegfall des Zivildiensts ersetzen zu können“, heißt es in einem Antrag, den die FDP Mitte November eingereicht hat. „Der Zivildienst hatte nie das Ziel, Defizite im sozialen Bereich aufzufangen“. Er sei ein Versuch gewesen, „Wehrgerechtigkeit“ herzustellen und „gewann über die Jahre eine wichtige Rolle für das soziale Netz in Deutschland, an die sich viele Sozialeinrichtungen bequem gewöhnt haben“.

Auch Jutta Simon sieht eine Alternative in freiwilligen Berufspraktika oder dem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ). Besonders mit FSJ-lern hätte das Augustinum bereits gute Erfahrungen gemacht. Allein in München absolvieren derzeit 78 Freiwillige ein Soziales Jahr beim Augustinum. Durch die längere Beschäftigungsdauer würden die Teilnehmer auch wesentlich mehr von ihrer Arbeit profitieren. „Es ist uns ja auch wichtig, den Teilnehmern einen umfassenden Einblick in die soziale Arbeit zu geben“, sagt Simon. Oft blieben ihnen die FSJ-ler nach dem freiwilligen Jahr sogar erhalten. „Es haben sich schon einige interessante Karrieren entwickelt.“

Auch Franz Poller, Teilnehmer im Freiwilligen Sozialen Jahr in der HPCA-Werkstatt Lerchenau, kann sich eine Zukunft im sozialen Bereich vorstellen. „Ich möchte gerne Heilerziehungspfleger lernen“, sagt der 19-Jährige. Da man dafür zwei Jahre Berufserfahrung braucht, möchte er noch ein weiteres freiwilliges Jahr in der HPCA-Werkstatt anhängen. Die Arbeit mit den Behinderten macht ihm Spaß. „Sie können einem so viel geben und sind oft schon für Kleinigkeiten dankbar.“ Da kann Leiterin Jutta Simon nur zustimmen: „Ich glaube, es vergeht keine Woche, in der ich nicht mindestens einen Heiratsantrag bekomme.“

Von Stefanie Moser

Artikel vom 10.12.2009
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