Stadt legt Armutsbericht vor – vielfältige Maßnahmen geplant

Giesing/Harlaching · Armut bewältigen

Ruth Waldmann, Prokuristin der AWO, und Dr. Kurt Mühlhäuser, Vorsitzender der SWM-Geschäftsführung, übergeben Regina H. einen Kühlschrank. Foto: SWM

Ruth Waldmann, Prokuristin der AWO, und Dr. Kurt Mühlhäuser, Vorsitzender der SWM-Geschäftsführung, übergeben Regina H. einen Kühlschrank. Foto: SWM

Giesing/Harlaching · »Die meisten kommen erst dann zu uns, wenn es gar nicht mehr anders geht. Die Hemmschwelle, etwas zu beantragen ist bei alten Menschen immer noch sehr hoch. Viele schämen sich auf Hilfe angewiesen zu sein«, berichtet Michaela Schmidt vom Alten- und Service-Zentrum der AWO in Obergiesing. Sie und ihre Kollegin Ute Krause-Fussek sind für die Sozialberatung im Treffpunkt zuständig und ihre Erfahrungen decken sich mit den jüngsten Ergebnissen des kürzlich vorgestellten Armutsberichts.

Regsam-Moderator Basilios Mylonas hatte kürzlich zur Vollversammlung geladen, um dort den Armutsbericht 2007 für die Stadtteile Giesing und Harlaching zu präsentieren. Werner Fröhlich, der den Armutsbericht mitverfasst hat, stellte klar heraus, dass es vor allem zwei Bevölkerungsgruppen in den Bezirken 17 und 18 besonders hart trifft, einerseits sind das kinderreiche Familien, beziehungsweise Familien mit einem alleinerziehenden Elternteil und immer mehr auch alte Menschen. Wie Fröhlich erklärte, gibt es in Giesing/Harlaching einen deutlich höheren Anteil an Alleinerziehenden (1.954 Haushalte von 8.275 Haushalten mit Kindern in den Bezirken absolut) sowie an Senioren (18,4 Prozent der Bevölkerung) wie in vielen anderen Stadtbezirken. Bei den Arbeitslosenzahlen belegten die Stadtteile Giesing und Harlaching den 4. Platz im Ranking der Stadtbezirke mit 4,7 Prozent, 33,2 Prozent davon sind Langzeitarbeitslose. Neu sei die Zunahme der so genannten »Working-Poor«, Menschen, die trotz der Tatsache, das sie einer Arbeit nachgehen, zu wenig zum Leben haben. In München seien hier vor allem auch die teuren Mieten schuld daran, dass Menschen mit ihrem Einkommen nicht auskommen könnten, so Fröhlich. Gerade in Giesing, das früher einmal als »Glasscherbenviertel« verschrieen war, sei eine deutliche Steigerung der Mieten zu spüren, da sich Giesing nach und nach zum In-Viertel entwickle, sehr zum Leidwesen der ärmeren Bevölkerungsschichten. Hilfen in Form von Wohngeld, Leistungen nach dem SGB XII (Grundsicherung, Hilfe zum Lebensunterhalt) erhalten in Giesing/Harlaching 3,2 Prozent der Bevölkerung und Leistungen nach dem SGB II und Sozialgeld erhalten 6,0 Prozent. Die Armutsdichte beträgt pro Tausend Einwohner in Obergiesing 166 Personen (9. Platz im Stadtviertelvergleich) und in Harlaching 117 Personen (17. Platz).

Der Leiter des Sozialbürgerhauses für Giesing und Harlaching, Conrad Sottorf kennt die Gesichter und Geschichten hinter den Zahlen. Ins Sozialbürgerhaus kommen die betroffenen Bürger um sich Rat und Hilfe zu holen. »Die Zahlen steigen«, bestätigt auch er. Die Mittel, die der Staat zur Verfügung stelle, um die Not zu lindern seien vielfach zu gering. Um einen Teil der Härte zu kompensieren, trage die Stadt München mit speziellen Angeboten wie der verbilligten IsarCard oder der Ausgabe von München Pässen an ­kinderreiche Familien mit den verbilligter Eintritt in Schwimmbäder oder Museen ermöglicht wird, bei. Vor allem setzt man in München aber auf Beratung. So bietet das Sozialbürgerhaus zum Beispiel eine Budgetberatung für einkommensschwache Familien an. Im Klartext bedeutet dass, den Hilfesuchenden zu erklären, wie man am besten sparsam wirtschaftet, zum Beispiel in dem man ein Haushaltsbuch führt, oder dass man Geld sparen kann, wenn man selber kocht anstatt immer vorgekochte Tiefkühlwaren zu kaufen. Auch die Stadtwerke München haben reagiert und bieten jetzt Energiesparberatungen für einkommensschwache Haushalte an. Um die betroffenen Menschen zum Mitmachen zu bewegen, werden kleine Energie-Spar-Starterpakete mit einem Kühlschrank-Thermometer, einer Steckdosenleiste zum Ausschalten und zwei Energiesparleuchten verschenkt, außerdem kann man auch energiesparende Geräte gewinnen, wenn man an einer Beratung teilnimmt. »Ich bin sehr, sehr glücklich«, strahlt Regina H. Die 61-Jährige aus Giesing war die erste, die im Rahmen eines Energieberatungsprojektes der Stadtwerke München (SWM) und der Münchner Wohlfahrtsverbände, darunter die AWO, kostenlos einen Kühlschrank erhielt.

Dass die schmale Haushaltskasse vieler Rentner von den ständig steigenden Energiepreisen arg strapaziert wird, weiß auch Michaela Schmidt. Viele seien von den hohen Nachzahlungen nach dem langen und strengen Winter völlig überfordert gewesen. Hier könne das ASZ Stiftungsgelder beantragen. »Manche können sich nicht einmal einen neuen Mantel oder ein paar Schuhe leisten, andere brauchen Unterstützung wenn mal die Brille kaputt geht«, erläutert sie weiter. Allein im vergangenen Jahr haben sie und ihre Kollegin 1852 Beratungsgespräche geführt und 458 Personen bei ihren Problemen geholfen. Auch der Malteser Mahlzeiten-Dienst hat auf die wachsende Armut bei alten Menschen reagiert und ganz neu eine Mahlzeiten-Patenschaft ins Leben gerufen. Anke Ringel von den Maltesern berichtet von der Idee, Sponsoren und Spender für einzelne Personen zu suchen. Ist das Jahresbudget für ein tägliches warmes Mittagessen zusammen, kann es auch schon losgehen. Auch das Sozialbürgerhaus kann Stiftungsgelder beantragen, wenn staatliche Stellen nicht zuständig sind. »Das sind nur Tropfen auf dem berühmten heißen Stein, aber sie helfen die gefühlte Not ein wenig zu lindern«, bekennt auch Sottorf. Auch im Freizeittreff Red Dragon kennt man die Armut vor Ort. »Vor allem in kinderreichen Familien ist das Armutsrisiko sehr hoch. Wir versuchen unser Programm so auszurichten, dass es wirklich für jeden finanzierbar ist«, erklärt Sozialpädagoge Renato Rill. Problematisch sei hier vor allem die Tatsache, dass sich die Armut der Eltern auf die Chancen der Kinder in ihrer schulischen Entwicklung auswirke. Wo nichts ist, könne auch kein Geld in Nachhilfe investiert werden, erläutert Rill. Zum niederschwelligen Angebot im Red Dragon gehört, dass man für kleines Geld dort essen kann. Obst gibt es beispielsweise für 20 Cent. Einig sind sich alle Vertreter sozialer Einrichtungen, ohne Spenden, Stiftungen und Sponsoren würde das Leben in München sehr viel ärmer aussehen, als es das bereits tut.

Woschée

Artikel vom 26.08.2009
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