Traumatisierte Jugendliche zurück ins Leben holen – anspruchsvolle Arbeit unter schweren Bedingungen

Giesing/Harlaching · Jugendpension für obdachlose Jugendliche zieht Bilanz

Höchst informatives Treffen an der Pforte der Jugendpension: Leiter Helmut Berger (l.) freut sich über den Besuch einer Abordnung der SPD-Rathausfraktion um deren stellvertretenden Sozialsprecher Christian Müller (3. v. l.)   Foto: Hettich

Höchst informatives Treffen an der Pforte der Jugendpension: Leiter Helmut Berger (l.) freut sich über den Besuch einer Abordnung der SPD-Rathausfraktion um deren stellvertretenden Sozialsprecher Christian Müller (3. v. l.) Foto: Hettich

Giesing/Harlaching · Derzeit ist das unauffällige Gebäude an der Nockherstraße 60 komplett eingehüllt und wird umfassend saniert. Doch »saniert« werden hier nicht nur Gebäudeteile, sondern praktisch auch Lebensentwürfe gestrandeter junger Menschen.

Denn im Grenzbereich zwischen Au und Untergiesing, nahe des Kolumbusplatzes ist seit 2001 die Jugendpension des Münchner Vereins Wohnhilfe e.V. untergebracht. Auf drei Etagen des Hauses sind hier in Einzelzimmern 14 männliche und sieben weibliche Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren untergebracht. Auf drei Monate soll der Aufenthalt in der Regel in dieser ganz speziellen Auffangstation begrenzt sein – manche bleiben aber auch deutlich länger. Vermittelt werden die jungen Menschen dabei über Jugendgerichte, das Jugendamt oder Einrichtungen der Jugendhilfe – manche melden sich auch selbst oder werden von anderen Einrichtungen weiter vermittelt.

Das Problemspektrum dieser jungen Menschen an der Schwelle zum Erwachsenwerden reicht weit: hier sind jugendliche Ausreißer mit schwierigem Familienhintergrund ebenso zu finden wie jenes türkische Mädchen, das mit dem eigenen Vater am Bosporus nicht mehr klarkommt und in München auf sich gestellt ist. Vor allem aber sind hier auch bisweilen schwer traumatisierte Kriegskinder aus dem Irak oder aus Nigeria untergebracht.

»Manchmal sind hier auch die Helfenden hilflos, haben wir auf die drängenden Probleme nicht immer die richtigen Antworten gleich parat!« Helmut Berger weiß, wovon er spricht. Er hat die Einrichtung seit 1995 mit aufgebaut, die er heute leitet und hat in dieser Zeit mit seinem Team rund 3.500 Jugendliche betreut. Zunächst war die Jugendpension an ihrem ersten Standort in Berg am Laim von reichlich Skepsis seitens der Stadt und den jeweiligen Nachbarn begleitet – 2001 wurde dort der Mietvertrag nicht verlängert, man brauchte dringend eine neue Unterkunft. »Wir bieten hier bewusst ein eher niederschwelliges Angebot«, so Berger beim Besuch von Mitgliedern der Münchner SPD-Stadtratsfraktion um deren stellvertretenden Sozialsprecher Christian Müller in der vergangenen Woche.

»Andere Angebote mit mehr Druck laufen gerade bei den jungen Menschen oft ins Leere.« Der Orientierungs- und Ziellosigkeit der Jugendlichen begegnet man hier allerdings mit täglichen »Fixpunkten«: nach dem Wecken um 7.00 Uhr und dem gemeinsamen Frühstück sind die nach Geschlechtern getrennten und speziell gesicherten Wohnbereiche zwischen 9.00 und 16.00 Uhr ­geschlossen – die Bewohner gehen entweder zur Schule oder werden von Sozial­pädagogen des Hauses zu Gerichts- oder Behördenterminen begleitet. Oder sie verdienen sich bei verschiedenen Projekten ein Taschengeld. Gewalt, Dieb­stähle, Drogen und Alkohol bestimmen die Tage dieser Jugendlichen oft umfangreich.

»Wir mussten den früher nur sieben Punkte umfassenden Verhaltenskodex auf heute 24 Punkte erweitern, da haben auch wir kräftig dazu lernen müssen«, meint Berger. Alkohol und Drogen sind in der Einrichtung völlig tabu. Die Teilnahme an den wöchentlichen Hausversammlungen etwa ist Pflicht, Gewalt gegen andere ebenso verpönt wie sexistische und rassistische Sprüche und Übergriffe. »Probleme gibt es dennoch genug«, so Berger. »Da wird schon mal aus Wut ein Teil der Einrichtung zerlegt«. Zudem würden mitunter Jugendliche nach komatösen Saufgelagen von der Polizei zurückgebracht. Doch die umfassende Versorgung der jungen Menschen aus schwierigstem Umfeld mit drei regelmäßigen Mahlzeiten pro Tag, Kleidung, Taschengeld und vor allem reichlich fachlicher bis freundschaftlicher Betreuung zeitigt auch positive Entwicklungen. »Immer wieder schaffen Bewohner von hier den Weg in ein normales Leben mit Ausbildung, Beruf und Familie«, so Berger zu den raren Lorbeeren. Längst hat man auch beim Träger wie auch vonseiten der finanzierenden Stadt gemerkt, welcher Bedarf für diese Art der fürsorgenden Arbeit besteht.

Aus anfänglich 3,5 Planstellen sind neben der Leitung und bis zu sechs Haus- und Verwaltungsangestellten längst sieben Stellen für Sozialpädagogen und Erzieher entstanden. »Anders wäre der Aufwand auch gar nicht zu stemmen«, betont Berger. Ende des vergangenen Jahres waren in Pensionen, Notquartieren und Clearinghäusern münchenweit 1.770 Menschen untergebracht – davon allein 436 Kinder und Jugendliche. Zwar sei der Bedarf bei deutschen jugendlichen Wohnungslosen laut Berger zuletzt leicht zurückgegangen – doch die Bedarfszahlen steigen gerade durch einen hohen Anteil unbegleiteter Flüchtlingskinder weiter deutlich. »Es kann nicht sein, dass wir hier tausende Jugendliche betreuen, manche sogar mehrfach – und uns andererseits vor geraumer Zeit die Einrichtung fast zugesperrt wurde, weil wir geringfügig überbelegt waren«.

Nur in Einzelfällen und bei Notsituationen werde vom Einzelzimmerstatus auch einmal kurzfristig abgerückt und der ein oder andere Raum dann eben mal doppelt belegt. Genaues Wirtschaften ist für Berger und Co. ohnehin gefragt. Denn per Entgeltfinanzierung, quasi per Fallpauschale erhält die Jugendpension einen täglichen Festbetrag pro Bewohner – »kurzzeitige Leerstände müssen Einrichtung und Träger da selber stemmen«, so Berger.

Doch vielmehr scheint die Überbelegung ein Problem zu sein. Denn die Jugendpension wird beileibe nicht nur vonseiten der Stadt, sondern in Ermangelung ausreichender Angebote auch vom Landkreis beschickt. »Da ist weiterer Handlungsbedarf gegeben«, so Berger. Er legt den Finger auch noch in eine weitere Wunde. »Gerade für die nächste Altersgruppe bis zu 25 Jahren gibt es zu wenig vergleichbare Angebote, da sind die jungen Leute oft auf sich gestellt«. Hettich

Artikel vom 19.08.2009
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