Albrecht Ackerland über Spielplätze

München · Da schau her!

„Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Ihr Kind Sand isst?“ Vorwurfsvoll, regelrecht anklagend wurde ich das gefragt, als ich neulich auf dem Spielplatz war. Ich sah mich schon am Pranger, wo geifernde Kinderschützer mich mit Alete-Gläschen bewarfen, sah mich in Handschellen von einem Jugendamts-Mitarbeiter abgeführt, sah Ursula von der Leyen persönlich anrücken, um mir mindestens meine Staatsbürgerschaft zu entziehen, wenn nicht gleich die Fruchtbarkeit.

Die Anklage kam von einer Frau, Anfang Vierzig vielleicht, ihr Gesicht war zerfurcht von tiefen Stressfalten. Sie sah so angespannt aus, dass manch Siebzigjährige neben ihr als jugendlich durchgegangen wäre. Sie war Mutter eines Jungen, ich hatte die beiden schon eine Weile beobachtet und wusste nicht, ob ich nun traurig oder erbost sein sollte. Der Junge, vielleicht zwei Jahre alt, war perfekt gekleidet – perfekt, um auf einer Prospektseite zu glänzen. Mit Hemdchen und Markenschuhen, was ja an sich auch durchaus geeignet für eine Gaudi im Sand wäre. Das aber sah die Mutter anders. Sandkuchen formen, das sollte er. Aber doch um Himmels willen nicht den Sand über seine ganze Kleidung verteilen. Ein Wunder, dass er keine Schutzhandschuhe tragen musste. Der arme Junge machte irgendwie den Eindruck, als ob er an eine Mutter geraten war, die eine andere Vorstellung von seinem Leben hatte, als er selbst.

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Sie schien das auch zu fühlen, so kam sie vermutlich auch zu ihrem eher unentspannten Gesicht. Dabei hatte sie alles so gut geplant, erst Karriere und dann Kind, dann, wenn schon genug Wohlstand da ist, um das Kleine ordentlich anzuziehen, ihm ein anständiges Leben bieten zu können. Doch dann die Überraschung: Das Kleine lebt, schreit, lacht, isst, steckt sich alles in den Mund, will Aufmerksamkeit, schert sich einen Dreck um Sauberkeit und Farbabstimmung bei der Kleiderwahl. Welten prallen aufeinander.

Als sei das alles für die arme Frau noch nicht genug, sie musste auch noch an jenem schwarzen Tag mit ansehen, wie ein Junge neben ihrem Karl-Luis oder Joshua oder Ferdinand Sand in den Mund nahm. Und womöglich gar schluckte. Weil ihre Versuche, meinem Neffen das zu verbieten, scheiterten, nahm sie all ihren Mut und ihre Wut zusammen, fand mich auf der Spielplatzbank und sagte ihr Sprüchlein.

Sie tat mir wirklich leid, mehr noch ihr Junge, denn er musste alsbald den Spielplatz verlassen, der Umgang hier sei unter seiner Würde, befand Mama. Zuvor hätte sie von mir noch lernen können, dass schon meine Oma wusste, wie reinigend Dreck doch für den Magen sei und neuere Forschungen außerdem belegen, dass zu viel Hygiene eher förderlich für Allergien ist. Ich hätte ihr auch sagen können, dass ich zur Langeweile erzogene Kinder schlimmer finde, als Spielplätze mit wackeligen Gerätschaften. Ich tat ihr aber nicht den Gefallen. Auf ihre Frage erwiderte ich ganz einfach: „Ja.“

Artikel vom 10.06.2009
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