Fazit: Ruhe ins Bildungssystem bringen und Praktiker einbinden

Neuperlach · Neue Übertrittsregelung heiß diskutiert

Diskutierten engagiert (von links:) Thomas Gehring (Bündnis 90/Die Grünen), Martin Güll (SPD), Waltraud Wallner (Elternbeiratsvorsitzende), Dr. Johannes Grotzky (Hörfunkdirektor BR, Moderator), Julika Sandt (FDP), Markus Blume (CSU), und Schulleiter Reinh

Diskutierten engagiert (von links:) Thomas Gehring (Bündnis 90/Die Grünen), Martin Güll (SPD), Waltraud Wallner (Elternbeiratsvorsitzende), Dr. Johannes Grotzky (Hörfunkdirektor BR, Moderator), Julika Sandt (FDP), Markus Blume (CSU), und Schulleiter Reinh

Neuperlach · Am 11. März fand im Neuperlacher Heinrich-Heine-Gymnasium (HHG) eine Podiumsdiskussion zur Übertrittsregelung von der Grund- in die Oberschule statt, moderiert von Johannes Grotzky, Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks.

Mit den vier Landtagsneulingen Thomas Gehring (Bündnis 90/Die Grünen), Martin Güll (SPD), Julika Sandt (FDP) und Markus Blume (CSU) war das Podium attraktiv besetzt, insbesondere weil Gehring, Güll und Sandt im Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport sind und Sandt sogar dessen Sprecherin ist. Sie war kurzfristig für ihre Parteikollegin Renate Will eingesprungen. Außerdem trugen Waltraud Wallner (Elternbeiratsvorsitzende) und Schulleiter Reinhard Duetsch Erfahrungen aus der HHG-Praxis bei.

Es wurde schnell klar, dass alle die Probleme an der gleichen Stelle sehen und das Gleiche wollen: kleinere Klassen, mehr und individuellere Förderung der Kinder sowie eine klare, aber stressfreie Übertrittsentscheidung. Das will die Bayerische Staatsregierung mit den neu in die Diskussion gebrachten »Gelenkklassen« erzielen, die heftig diskutiert wurden.

Bislang stehen hierzu nur die Rahmenbedingungen fest: In der fünften Klasse an jeder Schule soll geprüft werden, ob das Kind in der gewählten Schulform richtig ist oder ob es wechseln sollte. Die Eltern werden ab der dritten Klasse intensiviert beraten, sie erhalten mehr Mitspracherechte. Die Schüler sollen intensiver gefördert werden, speziell Schwächere und Kinder mit Migrationshintergrund. Ebenso soll das Noten-Dogma 2,33 (für Eintritt in Realschule oder Gymnasium) entkräftet werden, indem Schüler nun auch mit der Note vier in Deutsch und Mathe auf Realschule oder Gymnasium gehen können. Insgesamt ist eine größere Durchlässigkeit zwischen den Schularten angestrebt. Die neuen Regeln sollen erstmals zum Schuljahreswechsel 2010/2011 greifen, also für die derzeitigen Drittklässler.

Entschied beim bisherigen Übertrittsverfahren das Übertrittszeugnis vom Ende des vierten Schuljahrs darüber, ob ein Kind in die Haupt- oder Realschule oder ins Gymnasium geht, wird die Übertrittsphase bei »Gelenkklassen« von der dritten bis Ende der fünften Klasse erweitert: »Die Gelenkklasse ist ein Etikettenschwindel. Sie verschiebt die Entscheidung, nimmt aber nicht den Druck von den Schülern«, wetterte Gehring. »Die Gelenkklasse impliziert Intensivierungsstunden für Schüler«, verteidigte Blume die Regierungsidee. »Es heißt im Entwurf nicht ›zusätzliche Intensivierungsstunden‹«, hielt Gehring ihm entgegen, »außerdem fehlen die erforderlichen Lehrer!«. »...sowie Räume und Material«, stimmte ihm eine Lehrerin von der Städtischen schulart-unabhängigen Orientierungsstufe (ORI) Neuperlach zu und monierte: »Kein Politiker hat sich an uns gewandt, wo wir doch die Experten in Gelenkigkeit sind«. Überhaupt standen an diesem Abend die Erfahrungen aus der Praxis in Widerspruch zu den vor allem von Julika Sandt linientreu verteidigten Regierungsideen.

So sagte Michaela Bormann, Schulleiterin der Grundschule in der Rennertstraße, sie habe mit dem aktuellen Übertrittsverfahren keinerlei Negativ-Erfahrungen. Gymnasiumsdirektor Duetsch stimmte ihr zu: »Aus meiner Sicht ändert sich durch mehr Probeunterricht oder Gelenkklassen letztendlich nichts. Am HHG werden nächstes Jahr vielleicht drei bis vier Schüler betroffen sein.« Dass es eine Neuerung sei, Eltern bereits ab der dritten Klasse zu beraten, widerlegte Veronika Schäffer, Direktorin der Grundschule am Pfanzeltplatz: »Wir beraten ab der ersten Klasse!« Man bräuchte aber mehr Zeit für die Beratung der Eltern und die Förderung der Kinder, ergänzte Michaela Bormann.

Die anwesenden Schulleiter, Elternbeiräte, Eltern und Erziehungspsychologen fragten und forderten: »Wo bleibt die Förderung der Guten?«, »Mehr Lehrer werden uns schon seit Jahren versprochen«, »für Deutsch sollte man die Klasse teilen«, »eine spätere Aufsplittung in Schultypen ist besser als eine Frühdifferenzierung«. Die Anmerkungen des Publikums fanden im Fazit, das Grotzky von jedem auf dem Podium forderte, Niederschlag: »Veränderungen werden gebraucht«, stellte Gehring fest, Güll vertrat die Meinung, »man muss das Schulsystem neu aufstellen«, und Blume sagte: »Wir müssen Ruhe ins Bildungssystem bekommen und Erfahrungen aus der Praxis berücksichtigen. Duetsch knüpfte daran an und forderte die Politiker auf, »in Ruhe zu planen und Praktiker einzubinden«, was ihm starken Beifall des Publikums einbrachte. Auch wenn am Ende ratloses Kopfschütteln angesichts der Bildungspläne in Bayern blieb.

aha

Artikel vom 18.03.2009
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