Albrecht Ackerland über Lesefrust

München - „Da schau her“

Kennen Sie den Spruch? Diesen saudummen Gschaftler-Spruch, der aber leider einfach richtig ist: „Wer lesen kann, ist klar im Vorteil!“ So nervig wie er ist, so sehr trägt er zur Erheiterung der Anwesenden bei, wenn man ihn im richtigen Moment platziert. Einmal umgedreht, offenbart jene Alltagsweisheit schnell ihre Tragik: Wer nicht lesen kann, der hat verdammt viele Nachteile.

Ich möchte mir eigentlich lieber nicht vorstellen, wie es wäre, ein „A“ nicht von einem „O“ unterscheiden zu können. Ich hieße Ockerlond, was jetzt nicht weiter schlimm wäre. Eine solche A-O-Schwäche würde vielleicht noch zu lustigen Ergebnissen führen, aber sie gibt es so ja nicht. Aber ganz und gar überhaupt nicht lesen können? Die Hölle.

Aber um nicht zu lesen, muss man noch kein Analphabet sein. Viele Menschen, leider auch viele junge: Sie lesen nicht. Die Rede ist hier jetzt nicht vom Kaugummipapierl oder von der Fernsehzeitung. Das können die meisten lesen, fürs Überleben reicht’s. Aber stelle ich mir ein Leben vor ohne Bücher und Zeitungen: Mir kommen die Tränen.

Loben, preisen, unterstützen, fördern müssen wir dringend die Versuche, die Menschen zum Lesen zu bringen. Das fängt freilich bei den ganz Jungen an. Wer nie begriffen hat, dass einem Bücher buchstäblich eine neue Welt eröffnen, wer nie mitgefühlt hat, eine Geschichte nie miterlebt hat, warum sollte er Bücher lesen?

Neulich bin ich zufällig bei einer Wohnungsauflösung vorbeigekommen. Eine Frau war gestorben, ihre Hinterlassenschaft im Regal war: Das komplette Werk von Heinz Günther Konsalik. Sogar „Schwarzfahrt aus Liebe“ war dabei. Ich hatte keine Probleme, nicht zuzugreifen. Aber wenigstens, dachte ich mir, hat die Frau gelesen.

Wenn einmal meine Wohnung ausgeräumt wird, dann wird sich auch mancher denken: Der Mann hat gelesen. Heine, Böll, Capote, Kästner, Hemmingway, Bukowski, Kafka, Feuchtwanger, Graf, Thoma – alle da, und noch viel mehr. Er wird sich denken: „Mann, hat der Mann gelesen!“

Hier offenbart sich meine persönliche Tragödie: Hat er nicht! Jedenfalls nicht genug. Es gilt der Spruch, und ich beneide jeden, der gerne liest und das Problem nicht kennt: Wer Zeit zum Lesen hat, ist klar im Vorteil.

Artikel vom 13.11.2008
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