Gedenkveranstaltung in Moosach zum 70. Jahrestag der »Reichskristallnacht«

Moosach · Die Namen des Leidens

Die Organisatorinnen Kathrin Koop, Julia Schönfeld-Knor und Martina Schröpfer (v.l.) auf dem Parkplatz vor der neuen St.-Martins-Kirche, wo die Namenslesung stattfinden wird. Foto: wei

Die Organisatorinnen Kathrin Koop, Julia Schönfeld-Knor und Martina Schröpfer (v.l.) auf dem Parkplatz vor der neuen St.-Martins-Kirche, wo die Namenslesung stattfinden wird. Foto: wei

Moosach · Mit der so genannten »Reichskristallnacht« am 9. November 1938, die von den Nazis auf perfide Art und Weise geplant wurde, kam der Schrecken über die jüdisch stämmige Bevölkerung Münchens. In der Folge ermordeten Hitlers Schergen in der Stadt 4.587 Männer, Frauen und Kinder oft auf grausame Art und Weise.

Auch in Moosach wüteten die Nazis. Um an dieses schwarze Kapitel der Stadtteilgeschichte zu erinnern, findet am Sonntag, 9. November, eine Aktion zum Tag des Gedenkens auf dem gesperrten Parkplatz vor der neuen St.-Martins-Kirche statt. Direkt nach dem Gottesdienst lesen unter dem Motto »Jeder Mensch hat einen Namen« 16 Schüler aus dem Viertel rund 400 Namen von Opfern vor. Zum Teil standen genau diese Namen vor 70 Jahren an Klingelschildern von Moosacher Häusern und Wohnungen.

Die Idee, die Lesung direkt in die Stadtviertel zu bringen, ist neu. In den vergangenen zehn Jahren gab es lediglich eine zentrale Lesung. »Unser Anliegen in diesem Jahr ist es an die Opfer zu erinnern und ganz bewusst die Stadtteilgesellschaft miteinzubeziehen«, erläutert Dr. Anne-Barb Hertkorn vom Verein »Gegen Vergessen – Für Demokratie« die Aktion.

Aus diesem Grund trat Hertkorn an die Münchner Bezirksausschüsse heran und bat sie den organisatorischen Teil zu übernehmen. Hertkorn: »Zu unserer großen Freude haben alle zugesagt.« Auch der Bezirksausschuss Moosach (BA 10) war von Anfang an überzeugt von der Idee. »Wenn man solch eine Aktion in den Stadtteil holt, erreicht man ganz andere Bevölkerungsschichten«, ist sich Kathrin Koop, BA-Mitglied und Organisatorin, sicher. Neben Koop kümmern sich auch Martina Schröpfer und Julia Schönfeld-Knor um den Ablauf der Gedenkveranstaltung. Letztere hatte die Idee, wer die Namen am Tag des Gedenkens vorlesen könnte: »Ich dachte gleich an die Moosacher Jugendlichen.« So traten Schönfeld-Knor und ihre Mitstreiterinnen an die Schulen des Stadtteils heran und erhielten von 16 engagierten Schülern aus der Artur-Kutscher-Realschule und der Hauptschule an der Leipziger Straße feste Zusagen. Um die Jugendlichen auf die Namenslesung einzustimmen, besuchte das Organisationsteam die Neunt- und Zehntklässler in den Schulen. »Versucht Euch einfach vorzustellen, wie die Person damals ausgesehen haben könnte«, gab Koop den Jugendlichen auf den Weg.

Begleitet wird die Gedenkveranstaltung von Susanna Ulrich aus Hartmannshofen. Sie wird die Lesung mit Stücken von jüdischen Komponisten untermalen. Ergänzend zur Veranstaltung kommt Ernst Grube, ein Zeitzeuge aus Moosach, ab 15.30 Uhr ins Pelkovenschlössl. Er wird erzählen, was er damals im Münchner Norden erlebt hat und auf die Fragen der Besucher eingehen. Grube selbst wurde vom Naziregime in ein Arbeitslager gesteckt. Kathrin Koop kennt Grube und weiß genau: »Die Art wie er erzählt, lässt nichts anderes als Betroffenheit zu.« wei

Als »spontaner Volkszorn« und Reaktion auf die Ermordung des Diplomaten Ernst Eduard vom Rath durch einen Juden verkaufte das NS-Regime die Reichspogromnacht den Deutschen und der Welt. Dass es vielmehr um die Beschleunigung der gesetzlichen »Arisierung« ging, versuchte man zu verbergen. Mit der Zwangsenteignung jüdischen Besitzes und Unternehmen versuchte man die Staatsverschuldung zu verringern und die Kriegsvorbereitung zu finanzieren.

Dass es sich nicht um spontane judenfeindliche Aktionen handelte, beweisen auch Telegramme, in denen Propagandaminister Goebbels untergeordnete Behörden dazu anwies, sämtliche jüdischen Geschäfte zu zerstören, Wertgegenstände einzusammeln, Synagogen in Brand zu setzen und jüdische Symbole sicherzustellen. Gleichzeitig wurden die Feuerwehren und Polizeistationen angewiesen, nicht einzugreifen, sondern lediglich die Nachbargebäude zu schützen. Im Anschluss an die verordnete Zerstörung wurden insgesamt rund 30.000 Juden verhaftet und in KZ’s deportiert – die meisten von ihnen junge, wohlhabende Männer. Der Bevölkerung verkaufte man die Verhaftungen als »Wiederherstellung der Ordnung«.

Die Reaktionen aus dem Ausland auf die Pogrome beschränkten sich auf Protestschreiben. Die Amerikaner zogen ihren Botschafter aus Berlin ab. Die Deutschen waren in der Mehrzahl schweigende Schaulustige. Mancher Orts beteiligten sie sich auch an den Zerstörungen und Plünderungen der jüdischen Geschäfte.

Auch von Seiten der Kirche kam bis auf wenige Ausnahmen kein Wort des Protestes. Als Gründe werden hierfür die meist deutschnationale Einstellung und der traditionelle Anti-Judaismus vieler Pfarrer genannt. Alle Münchner, die am 9. November durch ihre aktive oder passive Teilnahme an der Namenslesung ein Zeichen gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus setzen wollen, sollten zu den Lesungen in ihren Stadtvierteln gehen. Andrea Koller

Artikel vom 04.11.2008
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