Freistaat plant die Streichung oder Verkleinerung von vier Dorfensembles

Bogenhausen · Historischer Kahlschlag

Tradition in Gefahr: Der BA 13 traf sich mit dem Leiter der Abteilung für Stadtgestaltung und Denkmalschutz, Ludwig Semmler (hinten li.), zum Ortstermin, um sich gegen die Streichung von Dorfensembeles, wie hier am »Johannes-Kircherl«, zu wehren. F.: ak

Tradition in Gefahr: Der BA 13 traf sich mit dem Leiter der Abteilung für Stadtgestaltung und Denkmalschutz, Ludwig Semmler (hinten li.), zum Ortstermin, um sich gegen die Streichung von Dorfensembeles, wie hier am »Johannes-Kircherl«, zu wehren. F.: ak

Bogenhausen · Eine Wiederholung der Geschichte spielt sich momentan in der Landeshauptstadt ab. Bereits in den 1980er-Jahren lag die Stadt München mit dem Landesamt für Denkmalpflege im Clinch: Die staatliche Behörde wollte die alten Münchner Dorfkerne nicht in den Ensembleschutz aufnehmen und bekam heftigen Gegenwind von städtischer Seite.

Der Erfolg gab den Münchnern recht und 20 historische Dorfkerne wurden doch mit Ensemleschutz belegt.

Rund 25 Jahre später hat das Landesamt für Denkmalpflege erneut die Dorfkerne im Visier und plant im Zuge einer »Nachqualifizierung und Revision der Denkmalliste« allein im 13. Stadtbezirk vier Dorfkernen den Ensembleschutz zu entziehen, beziehungsweise deren Grenzen zu beschneiden.

»Ziel dieses Projektes ist es, Denkmaleigentümern, Städten und Gemeinden sowie Behörden, Planern und Interessierten künftig aktuelle und präzise Denkmalinformationen ebenso wie eine gebäude- bzw. flurstückscharfe Denkmalkartierung zur Verfügung stellen zu können«, erklärt Nina Wiesner von Landesamt für Denkmalpflege. Genau wie in den 1980er-Jahren laufen die Münchner Sturm gegen diese Entscheidung. Auch der Bezirksausschuss Bogenhausen (BA 13) kämpft dafür, dass seine Dorfensembles erhalten bleiben.

Tipps zum weiteren Vorgehen holten sich die Stadtteilpolitiker vergangene Woche bei einem Ortstermin mit dem Leiter der Abteilung Stadtgestaltung und Denkmalschutz. Ludwig Semmler besuchte alle vier historischen Ortskerne und kam zu dem Schluss: »Jeder spürt, dass hier das Herz des Viertels schlägt.« Genauso sahen es auch die Stadtteilpolitiker und stellten fest, dass die überwiegend wissenschaftlichen Revisionsgründe des Landesamts für Denkmalpflege nicht viel mit der gefühlten Wirklichkeit zu tun haben. »Schließlich haben die alten Dorfkerne eine wichtige psychologische Funktion für die Identifikation der Münchner mit ihrem Stadtteil«, meint Angelika Pilz-Strasser (Grüne). Parteiübergreifende Unterstützung erfährt die Vorsitzende des BA 13 auch von den Bogenhauser Stadträten Christiane Hacker (SPD) und Robert Brannekämper (CSU). Letzterer kontaktierte bereits den Landesdenkmalrat und Staatsminister Dr. Thomas Goppel versicherte dem Stadtrat schriftlich, dass ohne eine ausführliche Befassung des Landesdenkmalrates keine Entscheidung getroffen wird und auch eine Streichung gegen dessen Willen nicht vorgenommen wird.

Gesichert sind die Ensembles aber deshalb noch lange nicht und so wird der BA 13 eine Fotodokumentation erstellen. »Die Bilder des Landesamts spiegel nämlich die tatsächliche Situation in Daglfing, Englschalking, Johanneskirchen und Oberföhring nicht wider«, beschwert sich Pilz-Strasser. Sogar von Manipulation sprechen einige BA-Mitglieder. So würde beispielsweise die weit vom historischen Kern entfernt liegende und bereits seit Jahren bestehende Tankstelle an der Freischützstraße als Grund für die Streichung des Ensemble genannt. »Besonders augenfällig ist die nachteilige Bildauswahl in Daglfing und Johanneskirchen«, meint der Organisator des Ortstermins Frank Otto (SPD).

In beiden Fällen habe man die essenziell wichtigen Kirchen St. Philippus-und-Jakobus und St. Johann Baptist nicht abgebildet. Auch die Begründungen für die Streichungen missfallen dem Vorsitzenden des Unterausschusses Planung: »Dass heute Gründe herangezogen werden, die bereits in den 80er-Jahren bestanden haben, halte ich für mehr als fragwürdig.« Dieser Argumentation stimmt auch Baudirektor Semmler zu. »Die Bewertungskriterien des Landesamtes haben sich verändert und nicht die Dorfensembles.« Dass die alten Ortskerne am Rand der Großstadt zwangsläufig ihr Gesicht verändern, sei aber noch lange kein Grund, ihnen den Ensembleschutz zu entziehen. Denn ohne diese Rechtsgrundlage sei der Zerstörung historischer Bauten Tür und Tor geöffnet.

Auch die Begründung vorhandene Neubauten würden die Einrichtung eines flächenhaften Baudenkmals unmöglich machen, lässt Semmler nicht gelten. Schließlich habe gerade der Ensembleschutz dazu geführt, dass sich die Neubauten harmonisch in die dörfliche Struktur einpassen. »Ohne den Ensembleschutz wäre an der Sambugastraße nämlich sicherlich kein einstöckiges, langgestrecktes Wohnhaus mit klassischem Satteldach gebaut worden«, gibt Hacker zu bedenken.

Gleiches gelte auch für den Wohnungsneubau an der Schnorr-von-Carolfeld-Straße, der sich durch die strengen Vorgaben der Lokalbaukommission eng an die ehemalige Dorfstruktur anlehnt. Sogar im geschichtsträchtigen Oberföhring mit der unter Denkmalschutz gestellten Dorfkirche St. Lorenz sollen Teilbereiche aus dem Ensembleschutz herausgenommen werden. Damit stößt das Landesamt nicht nur bei den Stadtteilpolitikern auf Unverständnis: »Man darf sich nicht nur auf die unmittelbaren Zentren stützen, sonst gehen die historischen Bezüge verloren«, meint der Leiter der Abteilung für Stadtgestaltung und Denkmalschutz und rät dem BA sich auch hier schriftlich zu äußern und Fotos einzureichen.

»Denn die Ensembles werden nicht gestärkt, indem man sie eindampft, sondern indem man aus den Fehlern der Vergangenheit lernt«, resümiert Semmler.

Nach all der Diskussion scheint eins sicher: Die Stadt wird zusammen mit dem Landesdenkmalrat auf das Landesamt für Denkmalpflege einwirken, damit die Münchner Dorfensembles erhalten bleiben. Bis zur endgültigen Entscheidung, die frühestens Ende des Jahres getroffen wird, haben die Bogenhauser Stadtteilpolitiker noch einiges zu tun. Pilz-Strasser: »Schließlich wollen wir in jedem Fall die dörflichen Strukturen bewahren, denn die sind es ja, die den Charme eines Viertel ausmachen.« Andrea Koller

Artikel vom 02.09.2008
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