Willy Michl tritt im Olympiapark auf – besonders für ihn ein Ort mit Geschichte

Olympiadorf · Ein Indianer und Olympia

Willy Michl am Nadisee im Olympischen Dorf. Seine Lebensgeschichte war seit den Olympischen Spielen lange Zeit eng mit dem Olympiagelände verknüpft. Jetzt tritt er wieder einmal dort auf.Foto: em

Willy Michl am Nadisee im Olympischen Dorf. Seine Lebensgeschichte war seit den Olympischen Spielen lange Zeit eng mit dem Olympiagelände verknüpft. Jetzt tritt er wieder einmal dort auf.Foto: em

Olympiadorf · Samstag, 23. August, 19 Uhr, »Park Lounge«: Ein Indianer nimmt seine Gitarre und singt. In München, denn er ist der »Isarindianer«. Auf dem Sommerfest im Olympiapark, denn der ist für Willy Michl ein besonderer Ort. Man merkt es sofort, wenn man mit ihm über das Gelände läuft.

Nicht dort, wo die Touristenpfade verlaufen. Sondern hinter den Kulissen, auf den verschlungenen Pfaden des Olympiadorfs. Nur jemand, der hier zu Hause ist, findet so sicher seinen Weg. Doch als ich mit ihm zu dem Haus in der Conollystraße gehen will, in dem er »18 Sommer lang« gelebt hat, verschließt sich sein Gesicht. »Ich bin dort einmal weggegangen, und ich kehre nie wieder dorthin zurück.«

Also bleiben wir erstmal am Nadisee. Im Schatten eines Baumes, mit Blick auf die typische Olympiadorf-Architektur. »Weißt Du, ich habe ja schon 1972 im Theatron Theater gespielt«, fängt er an zu erzählen. 22 war er damals. Frisch aus dem Pflichtdienst entlassener Hochgebirgsjäger bei der Bundeswehr, den man nicht hatte verweigern lassen. Seitdem unterwegs auf der Straße des Rock’n Roll, durch Clubs und Kneipen in München.

Beim Theatron hatte er eigentlich nur immer zugeschaut, wenn ein Freund probte. Er spielte unter einem argentinischen Regisseur, ein Stück für das Kultur-Rahmenprogramm der Olympischen Spiele. Schließlich machte auch Michl mit, gehörte dazu. Dann kam der 5. September 1972. Die palästinensische Terrorgruppe »Schwarzer September« überfiel das Appartement der israelischen Olympiamannschaft. Zwei Sportler töteten sie im Olympischen Dorf, elf nahmen die Terroristen als Geiseln. Sie starben später bei dem katastrophal gescheiterten Versuch der Polizei, sie zu befreien. »Wir haben tagelang nur geschwiegen. Die Gewalt war ›da drüben‹, 500 Meter vor uns. Und wir konnten nichts tun«, erinnert Michl sich. Nicht mal mehr Theater spielen. »Die Olympischen Spiele gingen ja weiter, aber das Kulturprogramm wurde gestoppt. Dabei hätte unser Stück so gut gepasst, es war ja ein politisches Stück gegen die Gewalt.« Irgendwie gehörten sie noch dazu, bekamen noch Essen und Getränke für ihre Verzehrbons, bewegten sich noch auf dem Gelände.

Doch »die Geister, die da waren, haben mich auch verletzt«, beschreibt der Musiker die Situation. Den eigentlichen Ort des Verbrechens sah er damals nicht. Der war weiträumig abgesperrt.

Fünf Jahre später sah er ihn. Und von da an fast jeden Tag. Denn zusammen mit seiner damaligen Frau zog er in eine Maisonette-Wohnung im Olympischen Dorf. Die Gedenktafel vor dem Bungalow des Attentats steht gegenüber. Trotzdem wirkt der Zauber der charmanten Dorf-Architektur.

Doch über den Nadisee hinüberblickend, sinniert Willy Michl heute: »Optisch ist das Olympische Dorf ja sehr schön, wie Pueblos. Doch es hat zwei Seiten. Das Ganze ist ein schönes Gelände, eine schöne Anlage. Aber sehr schlecht gebaut. Denn der Beton ist ja um ein Gitternetz aus Metall, aus Eisen gegossen. Das hat eine eigene Strahlung – und schirmt Strahlung ab. Geister, wie ich sie nenne, die du brauchst, um glücklich zu sein, können da nur sehr schwer rein. So ein Werkstoff ist für die menschliche Seele, aber auch für den Organismus ungesund.«

Ging es ihm denn schlecht im Olympiadorf? »Mal gut und mal schlecht, wie das eben ist im Leben. Ich habe auch viel auf dem Balkon geschlafen, im Freien, und habe die Türen aufgelassen. Und ich war einfach auch viel unterwegs, oft nur zum Schlafen da. Ich war ein Suchender damals. Inzwischen bin ich angekommen.« Der Isarindianer erzählt von der Natur, den Sternen, von Feuer und Wasser, die Heilung bringen können.

Davon, dass er in seiner jetzigen Wohnung eine Feuerstelle hat, und dass er das zum Leben braucht. Dass alles Leben Frieden und Respekt braucht. Und dann erinnert er sich daran, wie er an einem Septembertag gegen Mittag aufwachte in seiner Maisonette-Wohnung und anfing, Gitarre zu spielen. Nach einiger Zeit klopfte es an der Tür. Draußen seien Angehörige der Attentatsopfer versammelt, um ihrer zu gedenken. Michl ging zu ihnen, um sich zu entschuldigen. Doch sie fühlten sich gar nicht gestört. Das Gitarrenspiel hatte ihnen gefallen.

Der Sänger steht auf. »Ich gehe mit Dir jetzt zu dem Ort.« Kurze Zeit später steht er das erste Mal nach 14 Jahren wieder vor dem Haus, in dem er gelebt hat. »Das hätte ich mir denken können, dass sie meine Bäume gefällt haben.« Zwei Bäume, die er vor seiner Wohnung gepflanzt hatte, stehen nicht mehr. Am wichtigsten ist aber an diesem Ort der Respekt vor den Massaker-Opfern. Viele haben nach jüdischer Tradition Steine auf die Gedenktafel gelegt.

Willy Michl hat das Blatt von einem Baum mitgebracht. Schweigen, eine kurze indianische Zeremonie. Als wir gehen wollen, steigt auch eine Elster auf. Das Leben darf weitergehen. Eva Mäkler

Artikel vom 19.08.2008
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