Streit um Sozialtickets für Arme und Arbeitslose

München - „Wer soll das zahlen?“

„Nicht öffentlich durch die Stadt fahren zu können, bedeutet, kaum am sozialen Leben teilzuhaben“: Münchner Initiativen kämpfen um Sozialtickets für Bedürftige.	 Foto: Kerstin Groh

„Nicht öffentlich durch die Stadt fahren zu können, bedeutet, kaum am sozialen Leben teilzuhaben“: Münchner Initiativen kämpfen um Sozialtickets für Bedürftige. Foto: Kerstin Groh

Wer an der Armutsgrenze lebt, soll eine verbilligte Jahreskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel bekommen. Das fordern soziale Münchner Initiativen, mehrere Bezirksausschüsse unterstützen das Anliegen. Die Stadt hingegen lehnt den Vorschlag ab – ein Sozialticket sei zu teuer. Eine Studie soll nun klären, wie häufig einkommensschwache Bürger mit Bus, Bahn und Tram fahren.

Münchner, die mit Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe auskommen müssen, haben für die Monatskarte oft kein Geld mehr übrig. „Der Betrag, der im Existenzminimum für Fahrkarten vorgesehen ist, reicht nicht“, sagte Elke Gartner vom Obdachlosenhaus für Frauen in der Karlstraße auf der jüngsten Sitzung des Bezirksausschusses Maxvorstadt (BA 3).

Vor allem für Alleinerziehende sei diese Situation problematisch, ergänzte Gina Gerold von der Initiativgruppe interkulturelle Begegnung und Bildung: „Nicht öffentlich durch die Stadt fahren zu können, bedeutet, dass die Kinder armer Familien kaum am sozialen Leben teilhaben können.“ Weiteres Problem: Wer sich kein Ticket leisten kann, fährt häufig schwarz. „Die Versuche, in der Folge das Bußgeld einzufordern, verursachen allerdings meist nur Kosten, ohne dass etwas dabei herauskommt“, kritisierte sie. Wichtiger sei jedoch die menschliche Seite, „Mobilität ist das A und O.

Ohne die Möglichkeit, sich fortzubewegen, ist man gesellschaftlich ausgegrenzt.“ Daher fordern Gartner und Gerold, in München für Bürger, die vom Staat leben müssen, ein kostengünstiges Sozialticket einzuführen, das jeweils ein Jahr lang gilt. Der BA stimmte mehrheitlich zu, lediglich Karin Hiersemenzel (FDP) hatte Bedenken. „Wer soll denn die Kosten übernehmen?“, fragte sie. Michael Bärmann (Grüne) entgegnete, dies müsse die Stadt entscheiden, „unsere Aufgabe ist es, die Notwendigkeit festzustellen.“

Auch Johanna Salzhuber (SPD), Vorsitzende des Moosacher Bezirksausschusses (BA 10), will den Armen der Stadt das Bus- und U-Bahnfahren ermöglichen. „Immer wieder haben wir aus unserem Budget die Caritas-Streifenkarten für Bedürftige finanziert“, erzählt sie. Die Bezuschussung sei jedes Mal einstimmig beschlossen worden. „Auch wir können bestätigen, dass es Leute gibt, die sich die Tickets kaum leisten können“, sagt sie.

Der Bezirksausschuss Schwabing-Freimann (BA 12) hat vor rund einem Jahr sogar bei der Stadt beantragt, dass die Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe die öffentlichen Verkehrsmittel komplett kostenfrei nutzen können. „Die Münchner Verkehrsgesellschaft muss schließlich einen Großteil ihrer Gewinne an die Stadt abführen“, sagte BA-Chef Werner Lederer-Piloty (SPD). Daher sei es kein Problem, Bürger mit geringem Einkommen gratis zu befördern, „die Kommune müsste sich nur mit weniger Einnahmen aus dieser Quelle zufrieden geben.“

Die Stadt allerdings hält ein Jahresticket für sozial Schwache für nicht finanzierbar. Bislang gibt es für Besitzer des München-Passes, den die Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe erhalten, beim Sozialamt 15 Tageskarten pro Monat zum halben Preis, ohne dass die MVG einen Ausgleich fordert. „Wenn wir das Angebot jetzt noch ausweiten wollen, muss das die Stadt bezahlen“, sagt Stadtrat Siegfried Benker (Grüne). Diese Kosten seien nicht mehr tragbar. Wesentlich besser sei es, einkommensschwachen Bürgern ein Kontingent an Fahrkarten zuzuteilen, das sich an ihrem tatsächlichen Bedarf orientiere. „Alte Menschen, die von der Grundsicherung leben, gehen viel seltener aus dem Haus als etwa Alleinerziehende, die Arbeitslosengeld II beziehen“, argumentiert er.

Im Frühjahr hat die MVG eine Marktuntersuchung durchgeführt, bei der unter anderem Fahrgäste aus niedrigen Einkommensgruppen befragt wurden, wie häufig sie welche öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. Im Herbst dieses Jahres werden der Stadt die Ergebnisse der Studie vorgestellt. „Dann erst können wir über weitere Schritte entscheiden“, so Benker.

Übrigens: Was die Stadträte Bürgern mit geringem Einkommen verwehren, nehmen sie für sich selbst übrigens gern in Anspruch. Für die Volksvertreter im Rathaus sind in München die Fahrten mit Bus, Bahn und Tram kostenfrei.

Von Julia Stark

Artikel vom 31.07.2008
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...