Strafgefangenen eine Chance geben

Giesing/Harlaching · Erfolge feiern hinter Gittern

Auch in Stadelheim können Jugendliche einen Schulabschluss machen. Foto: Privat

Auch in Stadelheim können Jugendliche einen Schulabschluss machen. Foto: Privat

Giesing/Harlaching · Wochenlang drückten sie die Schulbank, um ihren Hauptschulabschluss zu machen. Dies allerdings an einem ungewöhnlichen Ort: Nicht in den Klassenzimmern paukten und schwitzten die insgesamt acht Prüflinge, sondern in einem Schulungsraum der Justizvollzugsanstalt Stadelheim.

Die Jugendlichen sind Insassen des Münchner Gefängnisses an der Stadelheimer Straße, die meist wegen Drogendelikten einsitzen und mit dem Schulabschluss die Chance bekommen sollen, später ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Seit fünf Jahren besteht inzwischen die Kooperation zwischen der Gefängnisleitung und der Hauptschule an der Perlacher Straße – mit Erfolg: Viele Gefangene im Alter bis zu 30 Jahren konnten auf diese Weise zu einem Schulabschluss gelangen. »Damals kam der Leiter der Strafanstalt auf mich zu und fragte an, ob die straffällig gewordenen Jugendlichen, die in dem Gefängnis zur Untersuchungshaft sitzen, nicht auch ihren Hauptschulabschluss machen können«, schildert der Rektor der Hauptschule an der Perlacher Straße, Wolfgang Miller. Gesagt, getan: »Wir waren uns sofort einig, dass die Initiative für die Jugendlichen eine wichtige Chance ist, um nach der Entlassung wieder auf die richtige Bahn zu kommen.«

Heuer waren es acht straffällig gewordene Jugendliche, von denen zwei den normalen Hauptschulabschluss und sechs die Quali-Prüfungen absolvierten. Über die Leistungen kann Miller, der ihnen die mündlichen Prüfungen abgenommen hat, nur staunen: »Einer von ihnen hatte sogar einen Durchschnitt von 1,11 und hat seinen Quali damit mit Bravour bestanden.« Vor allem mit seinen Fremdsprachenkenntnissen konnte er punkten: Um Englisch zu lernen, hatte sich der Jugendliche vor wenigen Monaten an einen Mit-Häftling gewandt, der die Sprache beherrscht, und ihn um Unterstützung gebeten. Das Ergebnis in den Prüfungen sei sensationell gewesen, freut sich Miller: »Er hat ein perfektes Referat auf Englisch über einen Text von Wolfgang Borchert gehalten und uns alle beeindruckt. Sein Sprachtalent ist enorm.« Bis er allerdings von seinem Wissen auf dem Arbeitsmarkt profitieren kann, müssen noch einige Jahre vergehen, da er wegen eines schwerer wiegenden Delikts einsitzt.

Mit viel Eifer seien auch die anderen Prüflinge bei der Sache gewesen: Ein 29-Jähriger, der bald entlassen wird, habe sich derart ins Zeug gehängt, dass er regelrecht Feuer gefangen hat und nach seiner Freilassung alle Schultypen bis zur Universität durchlaufen will. »Er hat mir gesagt, dass er auf jeden Fall studieren will.« Die Lerninhalte sind die gleichen wie in den Hauptschulen: Für einen regulären Abschluss müssen die Prüflinge in den vier Fächern Mathematik, Deutsch, Geschichte-Sozialkunde-Erdkunde (GSE) und Arbeitslehre bestehen. Wer seinen Quali draufsatteln will, muss Ergänzungsfächer wählen. Der Tagesablauf ist ähnlich wie an den Schulen: Vormittags werden die Absolventen unterrichtet, nachmittags sollen sie dann Hausaufgaben machen und die Inhalte vertiefen. »Der einzige Unterschied besteht darin, dass sie das nicht zu Hause, sondern in ihren Zellen tun«, schildert Miller weiter. Betreut werden die Absolventen von zwei Gefängnislehrern, die regelmäßig Unterricht geben, zu den Prüfungen kommen dann Lehrer von auswärts. Miller will sich auch in den kommenden Jahren mit ganzem Herzen dafür engagieren, dass die Stadelheim-Häftlinge eine Chance bekommen: »Viele haben eine fürchterliche Kindheit erlebt und sind ohne es zu wollen auf die schiefe Bahn geraten. Diesen Menschen müssen wir helfen.« Redaktion

Artikel vom 30.07.2008
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