Das Kanalsystem erkundet: Auf den Spuren des Bogenhauser Abwassers

Bogenhausen · Eine Reise im Untergrund

Sie wagen sich in den Untergrund: Eine Gruppe des NordOstKulturVereins ging der Frage nach: »Wohin fließt das Wasser des Münchner Nordostens?«Foto: ak

Sie wagen sich in den Untergrund: Eine Gruppe des NordOstKulturVereins ging der Frage nach: »Wohin fließt das Wasser des Münchner Nordostens?«Foto: ak

Bogenhausen · »Wohin fließt das Wasser des Münchner Nordostens?« Diese Frage stellten sich Roland Krack und seine Kollegen vom NordOstKulturVerein und organisierten eine Führung durch das Münchner Kanalnetz. Los ging‘s an einem der öffentlichen Einstiegsschächte an der Akademiestraße.

»Diesen Einstieg gibt es seit Anbeginn des Münchner Kanalbaus, also seit 1811«, erzählt Lothar Vorbach von der Münchner Stadtentwässerung und fügt schmunzelnd hinzu: »Schließlich wollte man den Münchnern zeigen, wohin ihre Steuergelder fließen.«

Auch die Führungsteilnehmer staunten nicht schlecht, als sie die steilen Treppen in das dunkle Gewölbe hinunterstiegen. Es ist kalt, feucht und riecht faulig, doch alle Führungsteilnehmer lauschen gebannt den Erzählungen des erfahrenen Kanalarbeiters. 2.400 Kilometer ist das Münchner Kanalnetz lang, 105 Pumpenwerke und zwei Klärwerke, Gut Großlappen und Gut Marienhof, versorgen die Landeshauptstadt. Zur Abwasserableitung dienen 1.200 Kilometer begehbare und 1.146 Kilometer Rohrkanäle. Hinzu kommen zahlreiche Sonderbauwerke wie 13 Regenbecken mit einem Gesamtvolumen von 706.000 Kubikmetern, Dükeranlagen und Regenüberläufe. Aus rund 141.000 Hausanschlüssen und 70.000 Straßenabläufen fließen jährlich rund 180 Millionen Kubikmeter Abwasser aus München und rund 13 Millionen Kubikmeter der Zweckverbände und Gemeinden in das Kanalnetz ein.

Beeindruckende Zahlen, doch wohin fließt jetzt genau das Abwasser aus Bogenhausen? Vorbach erklärt: »Wenn Sie in der Cosimastraße die Toilettenspülung drücken, fließt das Wasser bis zur Leinthalerbrücke, dort überquert es unterirdisch die Isar, fließt dann Richtung Norden bis zum Klärwerk.« Grundsätzlich wird das komplette Abwasser Münchens in Kläranlagen aufbereitet. Dass die Isar in den letzten Jahren wieder Badequalität erreicht hat, liegt aber an einem anderen Umstand. Mit Hilfe unterirdischer Becken, so genannter Regenrückhalte- und Regenüberlaufbecken kann bei starken Niederschlägen das Wasser gespeichert und bei nachlassendem Regen kontrolliert den Klärwerken zugeleitet werden. »So können wir eine Einleitung von Mischwasser in die Isar weitestgehend vermeiden«, erklärt Vorbach.

Die Isar ist also sauber, aber wie sieht es mit der Sauberkeit des Münchner Kanalsystems aus? Bei diesem Thema legt Vorbach die Stirn kräftig in Falten. Dass aufgrund von Sparmaßnahmen die Reinigungszyklen verlängert wurden, passt dem erfahrenen Kanaler gar nicht. »Teilweise werden die Kanäle nur noch alle vier Jahre gesäubert – früher haben wir jeden Kanal einmal im Jahr von Schlamm und Ablagerungen befreit.« Die offizielle Begründung: Man möchte die alten Ziegelgewölbe nicht »kaputt reinigen«.

Doch Vorbach hegt Zweifel, ob diese Rechnung aufgeht. Ebenso befürchtet er, dass sich durch die längeren Reinigungszyklen die Ratten vermehren könnten. »Denn Ratten gibt es im Münchner Kanalnetz – das lässt sich nicht verleugnen.« Angst bräuchten die Münchner jedoch nicht vor ihnen haben, meint Vorbach. »Die Tiere sind viel zu scheu.«

Bekämpfen würde man sie dennoch. Spezial-Rattenköder liegen überall dort aus, wo Ratten von den Arbeitern gesichtet werden. Das Gift wirkt zeitverzögert und die Tiere verbluten innerlich. »Das geht leider nicht anders, denn die Tiere sind sehr schlau. Stellen sie fest, dass ein Tier direkt nachdem es etwas gefressen hat, stirbt, rühren die anderen Ratten den Köder nicht mehr an.« 1836 hatte Max von Pettenkofer ganz andere Probleme. Er sah, dass die unhygienischen Zustände Schuld sind an den immer wiederkehrenden schweren Seuchen und Epidemien. Deshalb engagiert sich der Arzt für eine geordnete Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. »Anfänglich leider mit mäßigem Erfolg – wegen Geldmangels wurden größere Projekte zurückgestellt«, erzählt Vorbach und ergänzt: »Die bestehende Kanalisierung war völlig systemlos, eine Verbindung zwischen den einzelnen Kanälen gab es nicht.« Auch die Bauweise sei vielfach mangelhaft gewesen, die Kanäle nicht wasserdicht und ohne Spüleinrichtungen. 

Erst als im Jahr 1854 eine schwere Choleraepidemie ausbrach, die auch die Bayerische Königin Therese das Leben kostete, beauftragte die Regierung von Oberbayern auf Drängen Pettenkofers die Stadt München Pläne für eine systematische Kanalisierung auszuarbeiten. So entstand in den Jahren 1862 bis 1887 das »Sielsystem« in der Max- und Ludwigsvorstadt. Um die Jahrhundertwende wurde das Kanalnetz ausgebaut. 1926 ging das erste Münchner Klärwerk Gut Großlappen in Betrieb. 1989 wurde das zweite Klärwerk Gut Marienhof in Betrieb genommen.

1998 startete der Betrieb einer hochmodernen Klärschlammverbrennungsanlage am Klärwerk Gut Großlappen. Vor rund drei Jahren wurde dann noch die Abwasserdesinfektionsanlage am Klärwerk Gut Marienhof in Betrieb genommen. »So sind seit 2006 99,9 Prozent  aller Münchner Haushalte und Betriebe an die Kanalisation angeschlossen«, schließt Vorbach nicht ganz ohne Stolz seine Ausführungen zur Geschichte des Kanalbaus in München.  Erstaunt waren die Führungsteilnehmer über den guten Zustand des Ziegelmauerwerkes der Kanäle. »Die Ziegel sind noch alle aus der Gründerzeit des Kanalnetzes und wurden damals in den Ziegeleien Johanneskirchens extra für die unterirdischen Bauarbeiten gebrannt«, berichtet Vorbach. Die Qualität der Ziegel sei so gut, dass bislang keine größeren Schäden aufgetreten seien. Bis 2015 will die Stadtentwässerung jeden Kanal begutachtet haben.

Größere Sorgen bereiten der Stadtentwässerung jedoch die Gewohnheiten der Münchner. »Leider werfen immer noch viel Leute, Ohrenstäbchen, Damenbinden oder sogar Katzenstreu in die Toilette.« Die Zellstoffartikel verstopfen jedoch die Siebe oder rutschen sogar durch und müssen per Hand aussortiert werden. Rasierklingen zerstören die Gummstiefel der Kanaler und Katzstreu verstopft die Rohre. Deshalb appelliert Vorbach an die Vernunft der Münchner nichts unbedacht in den Abfluss zu kippen. Das gelte auch für Farben oder Chemikalien. »Einmal waren wir drei Tage lang beschäftigt, um herauszufinden wie und von wo Diesel in die Kanalisation gelangt ist«, erzählt der erfahrene Kanaler. Ein Tank hätte Leck geschlagen, wodurch mehrere tausend Liter in die Kanalisation gelangt seien. 

Die letzte Station der Führung führte die Bogenhauser Kanalgänger zum Regenauffangbecken an die Schenkendorfstraße. 20.000 Kubikmeter Wasser kann die Säulenhalle aufnehmen. »Aber bei Starkregen läuft sie in 20 Minuten zu«, warnt Vorbach. Wer sich dann in der Halle aufhielte, hätte keine Chance mehr lebend rauszukommen. Drastische Worte, doch der Kanaler weiß, dass gerade Jugendliche die unterirdischen Gewölbe »geradezu magisch« anziehen. »Aber die Becken sind brandgefährlich!« Ganz sicher und immer noch fasziniert von der zweiten Welt unterhalb Münchens, kehrte die Gruppe des NordOstKulturVereins nach rund zweieinhalb Stunden wieder an die Oberfläche zurück. Einmal tief Durchschnaufen, den fauligen Gestank aus der Nase vertreiben und Danke sagen – mit einzigartigen Eindrücken ging‘s zurück nach Bogenhausen. Andrea Koller

Artikel vom 29.04.2008
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