Albrecht Ackerland über Museen

München - „Da schau her“

Was hab’ ich mich früher aufgeregt: Über diesen ganz speziellen Typ von Tourist, der in eines oder womöglich in alle Kunstmuseen einer Stadt rennt, so, wie es ihm sein Reiseführer befiehlt. An der Hand baumelt die Herrenhandtasche, der Kunstsinn beschränkt sich auf einen Spitzweg-Kalender im Klo, aber brav, wie er ist, geht er natürlich in den Prado in Madrid oder in den Pariser Louvre – und weiß nicht nur am Ausgang schon nicht mehr, was er gesehen hat, sondern sieht schon in den Galerieräumen: nichts. Rennt durch.

Tausend Quadratmeter pro Stunde. Ein überteuertes Stück Kuchen im Museumscafé. Fertig ist die Reiseerzählung samt Gebildetsein-Beweis. Eigentlich aber hat ihn am Museum am meisten interessiert, wo das Klo ist, den ganzen Tag muss er schon. Dort freut er sich dann, dass der Besuch umsonst ist, in der Kabine ein Haken für die Herrenhandtasche ist, und er wundert sich ein bisserl, warum eigentlich nirgends ein Spitzweg hängt. Das ist der größte aller deutschen Maler, so viel weiß er.

Mittlerweile bin ich selbst ein solcher Laufschrittler geworden. In Museen, die ich schon kenne. Auch wenn man freilich niemals all die Ausstellungsstücke in einem Museum wirklich kennen kann. Mit kennen meine ich: wirklich kennen. Für meinen Kunstverstand und mein Gefühl reicht es aber, für ein Bild fünf, zehn, manchmal auch dreißig Minuten aufzuwenden. Dann hat man es fürs Erste gesehen. So geht es mir mit den Werken in Münchens wunderbarer Alter Pinakothek. Ich weiß, was wo wie hängt. Und liebe das alles.

Trotzdem halte ich es nicht wie Herr Reger in Thomas Bernhards großartigem Roman „Alte Meister“. Der geht jeden zweiten Tag ins Wiener Kunsthistorische Museum, setzt sich stundenlang auf eine Bank, immer vor das immer gleiche Bild – Tintorettos „Weißbärtiger Mann“. Und sitzt. Und schaut. Und: denkt vor allem nach – darüber, dass kein Künstler, kein Kunstwerk perfekt ist, alles voller Fehler steckt, dass kein einziger Mensch auch nur den Ansatz eines Kunstsinns besitzt. Reger hasst die Kunst und die Menschen und das Reden. Und liebt sie freilich umso mehr. Leider kenne ich mich zu wenig aus mit der Kunst, um eine solche Ebene zu erreichen. Deswegen gehe ich schon seit einiger Zeit wieder sehr oft in die Alte Pina. Bis vor einiger Zeit hab’ ich mich tatsächlich versucht im Sinnieren auf einer Bank. Mittlerweile schaffe ich alle Räume in zwanzig Minuten. Im Stechschritt auf leisen Sohlen. Das beflügelt. Ein Kunstgenuss, ohne alles ganz genau anzuschauen. Ich hab’ ja alles schon mal gesehen. Schon sehr oft. Oberflächlich ist das alles nicht, eher eine Art schmarotzende Highspeed-Meditation.

Und nicht zuletzt: große Unterhaltung. Dann, wenn ich an Herrschaften mit Herrenhandtaschen vorbeirausche, die fassungslos sind ob so viel Desinteresse meinerseits. Ein Hoch auf die Alten Meister.

Artikel vom 07.02.2008
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