Einmalige Ingenieurleistung und Ärgernis: Baustellentour zu Brückenabriss

Schwabing · Souvenirs vom Tatzelwurm

Entlang der markierten Linie wird die Autobahnbrücke auseinandergesägt, während der Verkehr auf einer Seite weiter rollt. Projektleiter Dr. M. Hennecke (re.) erklärt den Anwohnern wie das gehen soll. Foto: em

Entlang der markierten Linie wird die Autobahnbrücke auseinandergesägt, während der Verkehr auf einer Seite weiter rollt. Projektleiter Dr. M. Hennecke (re.) erklärt den Anwohnern wie das gehen soll. Foto: em

Schwabing/Freimann · Am Wochenende kreischt es in der Nacht – so beschreiben es Freimanner, die in der Nähe des »Tatzelwurms« wohnen, der Hochbrücke der A9. »Ja, das Sägen macht so ein ganz hochfrequentes Geräusch«, bestätigt der Ingenieur Dr. Markus Hennecke. Der Projektleiter für den Neubau der Autobahnbrücke erklärte Anwohnern und Nachbarn vergangenen Samstag bei einer Informationsveranstaltung der Autobahndirektion Südbayern, was hinter dem Lärm der Großbaustelle steckt.

»Sie haben das große Glück, dass vor Ihren Augen einer der spektakulärsten Autobahn-Abbrüche überhaupt stattfindet!« Henneckes einleitende Worte klangen in den Ohren der lärm- und schleichverkehrgeplagten Zuhörer nach reinem Galgenhumor. Keiner ahnte, dass er zwei Stunden und eine Baustellenführung später fast zustimmen würde.

Die bisherige Hochbrücke Freimann führt seit 1961 immer mehr Verkehr in und aus dem Münchner Norden. Gerechnet hatte man mit bis zu 7.000 Autos und Lkws pro Tag – doch inzwischen donnern hier jeden Tag 100.000 über die Fahrbahnen. Anfang der 60er-Jahre noch unbekannte Faktoren wie Streusalz taten ihr übriges: Die Brücke ist am Ende, kann den Verkehr nicht mehr verkraften und korrodiert. Die Schäden sind so massiv und die nötigen Umbauarbeiten wären so umfangreich, dass es günstiger ist, für 37 Millionen Euro die alte Brücke abzureißen und eine neue zu bauen.

Das Problem dabei: Der Tatzelwurm ist unentbehrlich – ihn zu sperren, würde den totalen Verkehrskollaps im Münchner Norden bedeuten. Daher wird ab November der gesamte Verkehr auf der Hälfte rollen, die bis jetzt nur stadteinwärts führt, während die andere Hälfte schon abgerissen wird. Dafür werden Bauarbeiter über 500 Meter Brücke in der Mitte durchsägen. Damit dabei nichts abbricht, befestigen sie zurzeit an den Wochenenden Stützpfeiler und Querträger darunter – während über ihnen die Autos weiter rollen. Eine einzelne Stütze kann bis zu 150 Tonnen Last tragen. Nur Lkws dürfen dafür noch bis Ende Oktober jeweils ab freitags, 23 Uhr, bis sonntags abends nicht über die Brücke.

Trotz Computersimulation und Expertenvortrag: Solche Dimensionen sind eigentlich unvorstellbar. Im Bauarbeiter-Look gingen die Nachbarn der Großbaustelle an den Tatort, um zu verstehen, warum manchmal nachts, wenn weniger Autos fahren, die Sägen kreischen und sich inzwischen langsam ein Schleichverkehr durch Wohngebiete bildet. Die anschaulichen und humorvollen Erklärungen des Ingenieurs versöhnten die Freimanner mit dem Ärgernis und erzeugten Stolz auf die weltweit einmalige Ingenieursleistung. Und sie nahmen sich die alten Stahlträger-Brocken als Souvenir mit.

Hennecke nahm’s amüsiert zur Kenntnis und beruhigte die Gemüter: »Wir liegen gut im Zeitplan – den nächtlichen Lärm müssen Sie nur noch drei Wochenenden lang ertragen!« Und der Schleichweg-Verkehr? »Ab November, wenn die Einfahrt Richtung Nürnberg gesperrt sein wird, schildern wir eine detailliert ausgeklügelte Umleitung aus. Auch die Ampeln werden daran angepasst schalten. Und wenn die Autofahrer anders reagieren als gedacht, werden wir darauf zusammen mit dem Kreisverwaltungsreferat (KVR) flexibel eingehen«, antwortet Martin Zeindl.

Darauf hoffen besonders Freimanner, die in den Seitenstraßen der Leinthalerstraße wohnen. Renate Illert, eine Betroffene, klagt: »Es ist kaum noch möglich, auf die Leinthalerstraße Richtung Oberföhring zu kommen. Wir bräuchten eine Ampel in Höhe der tschechischen Botschaft, um eine Chance zu bekommen, die Straße zu queren!« Auf der Informationsveranstaltung nahm sie Zeindl das Versprechen ab, ihr Anliegen an das KVR weiterzuleiten. Dann sagte sie mit einem Lächeln »Auf Wiedersehen« – bis zur nächsten Infoveranstaltung im März 2008. Eva Mäkler

Artikel vom 25.09.2007
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