Albrecht Ackerland über Ehrenämter

München - „Da schau her“

Meine Nachbarin ist eine besonders liebenswürdige Frau. Sie wohnt einen Stock unter mir, was praktisch ist, so kann ihr der brave Ackerland immer die Einkäufe hochtragen, die sie wie selbstverständlich im Erdgeschoss stehen lässt. Als ich neu in das Haus zog, habe ich mich bei allen Mietern vorgestellt – wie man das eben so macht.

Alle haben sich gefreut, „endlich mal ein junges Gesicht“, „jetzt riecht es nicht mehr so nach Tod“, „ach, sind Sie der, der immer so sportlich die Treppe herunter braust?“ – mir begegnete an den fremden Wohnungstüren stets ein freundliches Lächeln, sobald ich geklingelt hatte. Ich war gut gelaunt, schließlich hört man Derartiges gern, wenn man nicht mehr der Allerjüngste ist. Den letzten Besuch sollte die Frau unter mir erhalten. Ich klingelte. Es passierte: nichts.

Dann aber doch. Schlurfen im Gang. Ich wurde durch den Türspion beäugt, und mich ereilte dieses sehr merkwürdige Gefühl, das man eben bekommt, wenn man durch einen Türspion beäugt wird. Wie reagieren? In die Linse schauen oder verschämt auf den Boden? Lächeln? So tun, als merke man nicht, dass man just beobachtet wird? Egal.

Nach einer halben Minute, die gefüllt sein musste mit Abwägen, ob man einem wie mir die Tür aufmachen kann, soll und darf, hörte ich das Klacken des einrastenden Sicherheitskettchens. Die Tür ging diesen kleinen Spalt auf, den solche Kettchen zulassen, und durch ihn zwängte sich das Gesicht einer alten Frau. Dann startete auch sie ihre salbungsvollen Begrüßungsworte, gewitzt ohne die übliche Grüß-Gott-Floskel, sie kam gleich zum Punkt, war pfeilschnell sofort im Thema drin: „Können Sie mir sagen, warum Sie so saublöd bei mir klingeln?“

Konnte ich nicht, ich wusste gar nicht, dass man verschiedenartig klingeln kann, und vor allem hätte ich gern gewusst, was an meiner Art zu klingeln so ausgesprochen saublöd ist. Aber: ich hielt mich nobel zurück mit solchen Klugscheißer-Fragen und gab ihr zur Antwort: „Einen wunderschönen guten Morgen, ich wollte Sie nicht weiter stören, sondern mich nur kurz bei Ihnen vorstellen. Ich bin der Neue aus dem Dritten.“ Dabei lächelte ich, wie ich mir vorstellte, dass von Schwiegermüttern geliebte Schwiegersöhne lächeln.

Sie lächelte nicht, und doch hieß sie mich auf ihre Art im Haus willkommen: „Also gut, dann dürfen Sie mir in Zukunft mein Wagerl hochtragen. Ja? Und nicht naschen! Wiedersehen.“ Ich hatte, was ich mir immer gewünscht hatte: ein Ehrenamt. Ich kann Ihnen sagen: Manches im Leben macht man widerwillig, aber ein Ehrenamt, das kostet nicht nur Kraft. Es gibt Kraft.

Artikel vom 05.07.2007
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