Kunst-Aktion: Am 21. Juni vor 45 Jahren begannen die »Schwabinger Krawalle«

Schwabing · »Weltstadt mit Schmerz«

Ralf Hinterding wird am Samstag Szenen der Schwabinger Krawalle (Foto vom 23. Juni 1962) nachstellen. Foto: AP

Ralf Hinterding wird am Samstag Szenen der Schwabinger Krawalle (Foto vom 23. Juni 1962) nachstellen. Foto: AP

Schwabing · Wenn am Samstagabend Parolen wie »Nazi-Polizei« oder »Vopo in Blau« über die Münchner Freiheit schallen und sich Passanten und Ordnungshüter feindlich gegenüberstehen, werden Beamte der Polizeiinspektion Schwabing »ein Auge darauf haben«, wie der stellvertretende Leiter Fridolin Denzler sagt. Reagieren werden seine Kollegen aber nicht, wenn der Münchner Theatermacher Ralf Hinterding am 23. Juni, ab 20 Uhr, auf dem Forum mit Zuschauern und Statisten Szenen der »Schwabinger Krawalle« nachstellt – vorausgesetzt, alles läuft so wie beim Kreisverwaltungsreferat angemeldet.

Ganz ohne Genehmigung entlud sich vor genau 45 Jahren die Wut von über zehntausend Münchnern. Nachdem die Ordnungshüter auf der Leopoldstraße am Fronleichnamsdonnerstag, 21. Juni 1962, eine friedliche Ansammlung um ein paar harmlose Straßenmusiker auflösten, lieferten sich Tausende von Studenten, Lehrlingen, Halbstarken, Passanten und Zuschauern an fünf Abenden Straßenkämpfe mit der Polizei. Die war überfordert und ging unangemessen brutal vor. Die zwei Wochen vorher selbsternannte »Weltstadt mit Herz« machte landesweit unangenehme Schlagzeilen als »Weltstadt mit Schmerz«.

So nennt Hinterding auch die erste Aktion seines Projekts über den Menschen in der Revolte, das das Kulturreferat für drei Jahre unterstützt. Hinterding, der auch Dokumentationen für Wissenschaftssendungen wie »Nano« macht, inszeniert als Auftakt eine fünftägige »Jubiläums-Performance«: ab 21. Juni finden Aktionen an Originalschauplätzen in der Leopoldstraße statt, etwa Straßenmusik oder Projektion historischer Fotos. Am Samstag, 23. Juni, ab 20 Uhr, werden am Forum der Münchner Freiheit historische Szenen in Guido-Knopp-Manier nachgestellt und gefilmt. Statisten und Zuschauer sind herzlich willkommen, sagt Hinterding, »jeder kann mitmachen, auch die Polizisten«, beim Parolen schreien oder »Hand anlegen«. Prügelszenen, beruhigt der 37-Jährige, wird es aber nicht geben. Entgleisungen oder Störer von außen befürchten weder Polizei noch Regisseur. Einstimmen kann man sich beim Einüben von Sprechchören und Krawall-Parcours am Freitag, 22. Juni, 22 Uhr, in den Kammerspielen.  

Wut über den Muff der Adenauer-Ära, bei der schon Jeans tragen oder eben auf der Straße tanzen eine Provokation war, Vorspiel für die politischen Proteste um ‘68 oder erste Fan-Meile – Hinterding fasziniert an den »Krawallen«, dass sie noch kaum erforscht und wenig bekannt und sie spontan und ohne äußeren politischen Hintergrund entstanden seien. Heute gebe es nur kommerzielle, organisierte Veranstaltungen im öffentlichen Raum wie Corso Leopold, meint Hinterding. Der wollte sein Historienspiel zunächst am Originalschauplatz Leopold-/ Ecke Martiusstraße machen, einigte sich mit dem Kreisverwaltungsreferat wegen des Verkehrs dann auf das Forum. »Das einzig spontane auf der Straße ist heute einmal im Jahr eine Fußballfeier.« M. Schmid

Artikel vom 19.06.2007
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