Albrecht Ackerland über Ungeziefer

München - „Da schau her“

Der schicke Laden in Münchens Mitte, nennen wir ihn Mar-Vin, lebt von der münchnerischen Dolce Vita-Sehnsucht. Im Mar-Vin gibt es überteuerte Schmankerl aus Mittelmeerländern („Mar“) und mittelwertigen Wein mit hochwertigen Etiketten („Vin“). Eine sogenannte „Vinothek“ eben.

Das Mar-Vin lebt vor allem von seinen Stammkunden. Die wiederum leben nicht nur von den Antipasti und der frischen Pasta, die sie im Mar-Vin kaufen. Sie beziehen vielmehr einen Großteil ihres Lebensglücks aus der Tatsache, dass sie Stammkunden sind, zum eingeweihten Kreis gehören: Sie grüßen beim Betreten „Ciao Francesco, come stai?“, obwohl der Francesco eigentlich Franz heißt und aus Obermenzing kommt, irgendwann nach dem siebten Weißbier aber die Idee hatte, sich fortan „Francesco“ zu nennen, weil es einfach viel besser zu seiner mediterranen Speise- und Getränkeboutique passt.

Die Stammkunden grüßen auch den vollschlanken Kater, der immer im Laden rumhängt und, ha, witzig, nicht?, Marvin heißt, zumal im Mar-Vin sonst freilich keine Tiere erlaubt sind, der Kater aber die erwünschte Rundum-Idylle erst vollendet.

Was keiner weiß: Der Obermenzinger-Franz hatte ein massives Mäuse-Problem, kurz nachdem er den Laden übernommen hatte. So musste ein Kater her, flugs war ein Name für ihn erdacht und seine Rolle auf der Bühne der Lebenslust: Vollendung der Idylle. Dass er vor allem ein Wirtstier für Parasiten ist und nur deshalb immer so sympathisch-faul auf der Bank vor dem Laden rumliegt, weil der Obermenzinger-Franz ihm immer das Schlafmittel von seiner Oma ins Futter mischt? Nur eine Mutmaßung.

Kürzlich bin ich spät nachts am Mar-Vin vorbeigekommen. Auf dem Gehsteig saß eine daumengroße Kakerlake und pfiff recht unterhaltsam. Auch als ich sie lustig mit dem Fuß anstupste, rührte sie sich kaum. Ich bin recht kakerlakenunerfahren, aber eigentlich dachte ich immer, diese Tierchen pflegten ein eher flinkes und scheues Verhalten. Muss wohl an den Franz’schen Valpolicella-Noagerln gelegen haben oder an Marvins Schlafmittel-Whiskas. Jedenfalls kam ich zu der Erkenntnis, dass das Mar-Vin Mäuse nötiger hätte als einen Marvin – Kampfmäuse, die sich den unverschämten Kakerlaken annehmen.

Zuhause angekommen, hatte ich eine weitere Erkenntnis: In meinem Hinterhof gibt es ein massives Taubenproblem, schon wieder musste ich büschelweise Daunen der fliegenden Milbenschleudern aus meinem Dolce-Vita-Rosmarin auf dem Balkon zupfen.

München leidet jedenfalls an einer Ungezieferplage! Tauben brüten dreimal im Jahr und Kakerlaken übernehmen bald die Macht auf der Straße. Wird Zeit, dass eine Eiszeit kommt und das Mittelmeerklima vertreibt – auch aus den Münchner Seelen.

Artikel vom 24.05.2007
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