2006: Von Fußball-Gottesdiensten hin zu Papst-Popkonzerte

München - Bruno, Bene und Ballack

2006 hatte München eine gute Ernte. Was Oberbürgermeister Christian Ude bereits im Januar vorhergesagt hatte: „Von den Früchten der Arbeit“, welche die Stadt in den vergangenen Jahren geleistet hatte, würden wir endlich profitieren, meinte er damals.

Eine dieser Früchte allerdings dürfte Ude nicht sonderlich schmecken: die CSU hat nach kurzer, harmonischer Diskussion einen neuen Oberbürgermeister-Kandidaten aus dem Hut gezaubert – Josef Schmid. Einen Mann, der wohltuend gar nichts zu tun hat mit der teils zweifelhaften Vergangenheit der sonst so zerstrittenen Münchner Schwarzen. Hier ein Überblick über sämtliche „Früchte“ des vergangenen Jahres – und über alles, was uns sonst noch blühte in der Stadt.

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Seit 1. Februar müssen „Halb-Münchner“ tief in die Tasche greifen: Der Stadtrat hatte am 25. Januar eine Zweitwohnungssteuer beschlossen. Was bedeutet, dass jeder, der in München mit einem Zweitwohnsitz gemeldet ist, eine Jahressteuer in Höhe von neun Prozent seiner Nettokaltmiete zahlen muss. Da die Stadt selbst für Studenten keine Ausnahme macht, mussten viele ihren Hauptwohnsitz nach München verlegen.

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Anfang März hatte uns der Winter eisern im Griff: Es fiel so viel Schnee wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Einige Tage fuhr bis auf die U-Bahn kaum mehr ein Verkehrsmittel, auch Trams und S-Bahnen standen wegen der Schneemassen still. Ferner wurden Turnhallen gesperrt aus Sorge, die Decken könnten unter der Schneelast einbrechen.

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Die Entscheidung zur Gestaltung des neuen Hauptbahnhofes fiel am 12. März zugunsten der Pläne des Münchner Architekturbüros Auer und Weber. Frühestens 2012 werden der von Stadtbaurätin Christiane Thalgott abschätzig „Fuchsbau“ genannte Kopfbahnhof und die schmuddelige Bahnhofshalle Vergangenheit sein. An deren Stelle wird ein überaus futuristischer Bau stehen, der mit seinem imposanten Vordach ein wenig an ein gerade gelandetes Raumschiff erinnern wird.

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Tief durchatmen: Die Stadt ist seit Anfang März um eine grüne Lunge reicher. Das Gelände der Bundesgartenschau 2005 wurde zum Riemer Park umfunktioniert – und ist damit zu einem öffentlichen Erholungsgebiet geworden, das zwei Mal so groß ist wie der Westpark. Die Spielplätze, die Skater-Anlage sowie Stauden- und Rosenflächen können als Überbleibsel der Buga weiter genutzt werden, auf dem Rodelhügel können die Besucher im Winter Schlitten fahren – sofern es denn noch Winter wird.

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Seit 6. April kann im Olympiapark nicht nur auf einen Berg geklettert werden – ab jetzt taucht man dort auch ab, gleich vom Ufer des Olympiasees aus: Mit dem „Sea Life Center“ hat München ein eigenes Großaquarium und somit eine neue Sehenswürdigkeit bekommen. Über 100 verschiedene Fischarten aus der gesamten Unterwasserwelt zwischen Isar und Mittelmeer sind dort auf über 2.000 Quadratmetern zu bewundern.

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Von Unterwasser- zu Flugtieren: Am 14. April gab es einen Vogelgrippefall bei München – zu einem Zeitpunkt also, als sich die Aufregung eigentlich schon gelegt hatte. Ein toter Uhu wurde bei Straßlach-Dingharting gefunden, woraufhin ein Beobachtungsgebiet eingerichtet wurde, das den Münchner Süden berührt. Insgesamt wurden bis Mai 74 Fälle von „H5N1“ in Bayern registriert – danach keiner mehr.

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Am 29. Mai wurden die beiden erweiterten Bahnsteige im U-Bahnhof Marienplatz freigegeben. Damit sind nach gut drei Jahren Bauzeit und rechtzeitig vor der Fußball-WM die beiden Bahnsteige auf nahezu die doppelte Fläche vergrößert.

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Ab 9. Juni drehte sich die Erde nicht mehr um die Sonne, sondern um den Fußball: Bis 9. Juli fand mit der WM das größte Sportereignis auf deutschem Boden seit der Olympiade im Jahr 1972 statt. Bereits am 6. Juni startete das Fifa-Fanfest im Olympiapark. Ferner etablierte sich mit zunehmender Fußball-Euphorie eine weitere Fanmeile in München: auf der Leopoldstraße feierten 60.000 Hobby-Irokesen und „schwarz-rot-geile“ Patrioten die Siege der deutschen Mannschaft unter Ballacks Führung. Ein schöner Rausch, der nach dem Italien-Spiel einem Kater wich.

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Sein Vorstrafen-Register war lang: Einbruch, Diebstahl, Tötung, Unfallflucht. Bruno aus dem italienischen Trentino wurde für Umweltminister Werner Schnappauf zum „Problembär“ – und daher zum Abschuss freigegeben. Nach langer Hatz schließlich hatte ein Jäger den Unruhestifter am 26. Juni getötet. Für Tierschützer gilt Schnappauf seither als Problemminister. Zum Problem wurde auch Brunos Leichnam, den diverse Museen in Bayern wie in Italien zur Schau stellen möchten. Zurzeit allerdings wird jener bis auf weiteres an einem geheimen Ort aufbewahrt.

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Sie hingegen leben noch: Die „Rolling Stones“ spielten am 16. Juli ein Konzert im Olympiastadion – gegen saftige Eintrittspreise und mit heftigen Knebelbedingungen für die Presse, die daher nur eingeschränkt über das Konzert berichtet hatte. Trotzdem rockten die alten Herren wie junge Götter – wer glaubt, das sei das letzte Münchner Konzert der rollenden Steine gewesen, irrt bestimmt.

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Ein wirklich junger Gott lud zu insgesamt drei Konzerten von 1. bis 3. August ins Olympiastadion. Allerdings: Robbie Williams „was singing in the rain“: Alle drei Tage waren verregnet. Den Fans ging trotzdem die Sonne im Herzen auf.

* Ansonsten war die Stadt von 1. bis 19. August in Kinderhand – zumindest „Mini München“: Die Spielstadt hatte in der Event-Arena des Olympiaparks zum 13. Mal seine Pforten geöffnet, damit 3.000 Jung-Münchner täglich als Bäcker, Journalisten und sogar Bürgermeister arbeiten konnten.

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Insgesamt vier Fleischskandale verdarben ab August den Bayern den Appetit, die Entdeckung von fünf Tonnen Gammelfleisch auf dem Münchner Schlachthof beispielsweise. Schlimm genug, doch leider mussten sich die hiesigen Behörden obendrein den Vorwurf gefallen lassen, geschlampt zu haben: Sie hatten diverse anonyme Hinweisen auf Gammelfleisch ignoriert. Es folgten Rücktrittsforderungen an Problemminister Schnappauf, bis Konsequenzen gezogen wurden: Derzeit arbeitet das Verbraucherschutzministerium an einer Datenbank, auf die kommunale und staatliche Lebenskontrolleure Zugriff haben sollen, ferner baut die Stadt ein Verbraucherschutzamt auf.

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Am 9. September kam er vom Himmel herab, stieg aus dem Flugzeug und war in Bayern – mitten unter uns: Papst Benedikt XIV. besuchte seine Heimat – und wir feierten ihn auf der Ludwigstraße so, wie zuvor die Fußball-WM. Nach einem Gebet an der Mariensäule, einem Pop-Gottesdienst in Riem, einem Besuch in Marktl, Altötting, Regensburg und so weiter entschwebte der Heilige Vater schließlich wieder gen Rom.

* Er will’s nochmal wissen: Am 15. September hat der ewige Ude verkündet, dass er 2008 wieder Oberbürgermeister werden will. Ebenfalls im September kürte die Münchner CSU nach einem Geheim-Treffen mit Parteichef Edmund Stoiber den schwarzen Gegenkandidaten: Stadtrat Josef Schmid wird als OB-Kandidat der CSU ins Rennen um die Bürgermeister-Krone geschickt.

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Eine Rekordwiesn startete am 16. September – zumindest, was die Dauer betrifft: Feiertagsbedingt konnten die Münchner der Welt 18 Tage lang zeigen, was man unter bayerisch-multikultureller Gmiadlichkeit versteht. Geschrei gab es allerdings, weil sich immer mehr selbsternannte Wiesn-Promis im Scheinwerferlicht sonnen wollten. Weil das aber auch dazu gehört, durfte letztlich doch ein Zirkus um Paris Hilton und ihren Wiesn-Prosecco veranstaltet werden.

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Endlich wurde Münchens hässlichste Kriegswunde in der Altstadt geschlossen: Mit der Einweihung der Hauptsynagoge auf dem Jakobsplatz am 9. November nimmt das Jüdische Zentrum Gestalt an. Ergänzt wird es noch durch Schule, Kindergarten und Gemeindeverwaltung. Durch das 57 Millionen Euro teure Gebäudeensemble wurde aus einem Busabstellplatz samt Altglascontainer ein Ort von europaweiter Bedeutung geschaffen.

Von Nadine Nöhmaier

Artikel vom 28.12.2006
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