Während hier noch über Öffnungszeiten diskutiert wird, klingeln in anderen Ländern bereits die Kassen

München - Bayern bremst

Betreten verboten: Um acht Uhr abends ist Schluss mit Einkaufen. Zumindest in Bayern, zumindest vorerst. Allerdings will Landesvater Edmund Stoiber bald nochmals über die starre Ladenschluss-Regelung diskutieren. Foto: clash

Betreten verboten: Um acht Uhr abends ist Schluss mit Einkaufen. Zumindest in Bayern, zumindest vorerst. Allerdings will Landesvater Edmund Stoiber bald nochmals über die starre Ladenschluss-Regelung diskutieren. Foto: clash

München - Der Sonntag ist der Tag des Herrn – und nicht der Tag des Hertie. Wenigstens darin sind sich Politiker, Geschäftsleute, Gewerkschaften und Kirchenvertreter in der Regel einig. Alle Geschäfte – ob Hertie oder der Tante Emma-Laden – sollen auch künftig am siebten Tag der Woche geschlossen bleiben. Ein wenig Ruhe und Besinnung soll den Menschen auf jeden Fall bleiben.

Was allerdings den werktäglichen Ladenschluss betrifft – darüber streitet die bayerische Politik. In der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag jedenfalls gab es bei der Abstimmung zum Ladenschluss ein nie erlebtes Patt. 51 zu 51 ging die Abstimmung aus, in der über längere Ladenöffnungszeiten entschieden werden sollte.

Das bedeutet: alles bleibt, wie es ist. Mit ihren 124 Abgeordneten kann die CSU in Bayern allein über Gesetze entscheiden – Grüne und SPD haben weit weniger Abgeordnete und können entsprechend kaum mitreden. Aber auch dort, in der Opposition, ist die Meinung gespalten: Die Grünen sind für eine Freigabe der Öffnungszeiten, die SPD ist dagegen.

Die Trennlinie in der Politik verläuft derzeit ähnlich wie die Diskussion bei den Bürgern: Auf der einen Seite diejenigen, die gegen zuviel Bürokratie sind und deshalb den Ladenschluss fällen wollen, auf der anderen Seite die Menschen, die sich um mögliche soziale Folgen sorgen, etwa überlange Arbeitszeiten. Entsprechend fallen die Kommentare zur „Alles-wie-bisher“-Entscheidung der CSU aus. Die Wirtschaft meint: „Mutlos!“, die Gewerkschaften dagegen jubeln.

Freilich ist das CSU-Votum eine saubere Watschn für den Handel, für den Tourismus und für alle, die bis acht Uhr abends arbeiten müssen und danach noch gerne einkaufen würden. Es ist sogar eine Watschn für den Landesvater Edmund Stoiber (CSU) höchstpersönlich, der sogleich betonte, dass „das letzte Wort“ in dieser Entscheidung noch gesprochen werde.

Im rot-roten Berlin hingegen ist die Ladenschluss-Debatte beendet. In der vergangenen Woche hat sich das Abgeordnetenhaus für die Freiheit des „shop around the clock“ entschieden: bereits die diesjährigen Weihnachtseinkäufe können dort bis tief in die Nacht erledigt werden. Natürlich aber nur, sofern die Geschäfte auch die neue Freiheit nutzen. Bayern und das Saarland hingegen sind die Vorreiter im Nachhinken, sie bleiben bei der 20-Uhr-Regelung. Andere Bundesländer basteln derzeit noch an Gesetzesentwürfen, die bis zur völligen Freigabe reichen; in Sachsen-Anhalt etwa sollen die Läden sieben Tage 24 Stunden öffnen dürfen.

Die Bayern rechtfertigen ihre Vollbremsung damit, dass man erst mal in der nächsten Zeit beobachte, „wie sich die Regelungen in anderen Bundesländern entwickeln“. Anfang nächsten Jahres werden die CSU-Abgeordneten dann wohl nochmals eine Abstimmung überdenken, das kündigte zumindest CSU-Fraktionschef Joachim Hermann an. Eine Einstellung, die zeige, wie „mutlos“ die CSU sei – wettert FDP-Stadträtin Gabriele Neff gegenüber dem SamstagsBlatt: „Man kann nicht immer dabei zuschauen, was die anderen machen. Man muss auch mal selbstbewusst nach vorne gehen und sagen: ‚Wir wollen das! Wir wollen, dass die Kunden hier im Freistaat bestmöglichen Service bekommen.“ Der Ladenschluss müsse auch und gerade in einer Metropole wie München fallen. „Wo sonst?“, fragt die FDP-Politikerin. Denn immerhin werbe die Stadt damit, ein „Shopping-Paradies“ zu sein. „Wenn die Touristen zum Einkaufen anreisen, hier aber vor verschlossenen Türen stehen – dann haben wir uns ordentlich blamiert.“

Neff glaubt auch nicht daran, dass die CSU in nächster Zukunft von ihrer 20-Uhr-Entscheidung abrückt: „Den Mut sehe ich in dieser Partei nicht.“ Wenn der Status quo bestehen bleibt, werde Bayern bald eine einsame Insel in einem Meer voller Einkaufsparadiese sein, fürchtet auch Wirtschaftsminister Erwin Huber (CSU), der sich über die Freigabe-Gegner in seiner eigenen Partei ärgert: „Wir sind umzingelt von Freibeutern, und die haben nix anderes im Kopf, als sich auf die bayerischen Euros zu stürzen.“ Auch Erich Greipl, Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern, befürchtet, dass vor allem die Bayern in grenznahen Gebieten künftig die längeren Öffnungszeiten in den angrenzenden Bundesländern Baden-Württemberg, Hessen und Thüringen nutzen. Der IHK-Chef fordert deshalb eine Abstimmung zwischen den Bundesländern, damit es nicht zu „erheblichen Wettbewerbsverzerrungen“ komme. Am wichtigsten sei aber eine klare Entscheidung – so oder so: Denn Unsicherheit schade dem Handel ungemein.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi begrüßt dagegen, dass es – zumindest vorerst - bei 20 Uhr bleibt. „Eine weitere Ausweitung der Öffnungszeiten über 20 Uhr hinaus und sonntags ist schon aus Sicht der Verbraucher völlig unnötig, wie wir am Beispiel der Fußball-WM sehen konnten“, findet etwa Kevin Voss, Vorsitzender der Verdi-Jugend Bayern. Geschäfte und Märkte waren zwar geöffnet, allerdings habe dies kaum ein Verbraucher genutzt. Der Preis für die flexibleren Zeiten sei zudem sehr hoch gewesen: Die Mitarbeiter hatten es wegen ihrer späten Arbeitszeit schwerer, ihre Freunde zu treffen. Und Alleinerziehende wüssten nicht, wo sie ihre Kinder unterbringen sollen: Tagesstätten und Kinderkrippen hätten schließlich auch nicht bis 22 Uhr geöffnet. Von Nadine Nöhmaier

Artikel vom 16.11.2006
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