Viele Eltern sind überfordert mit ihren Kindern – Kommt jetzt der Eltern-TÜV?

München - Grüne fordern Eltern-Führerschein

Freie Fahrt zur Kindererziehung: In einer Montage hat das SamstagsBlatt schon einmal ausprobiert, wie der Elternführerschein aussehen könnte. Foto: Archiv; Montage: clash

Freie Fahrt zur Kindererziehung: In einer Montage hat das SamstagsBlatt schon einmal ausprobiert, wie der Elternführerschein aussehen könnte. Foto: Archiv; Montage: clash

Der schockierende Tod des kleinen Kevin in Bremen schlägt hohe Wellen: Wie konnte es dazu kommen, dass ein Kind unter den Augen des Jugendamts von seinen Eltern zu Tode gequält wird? Kevin wuchs bei drogenabhängigen Eltern auf und musste schon als Säugling wegen schweren Misshandlungen ins Krankenhaus.

Ein Extremfall, aber leider kein Einzelfall: Der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann schätzt, dass in Deutschland 80.000 Kinder unter zehn Jahren von „extremer Vernachlässigung und Verwahrlosung bedroht“ sind. Jede siebte Familie hat „massive Erziehungsprobleme“, sagt er. Doch auch weitab von Drogen und Verwahrlosung steht es in manchen Familien nicht zum Besten. Dass viele Eltern mit der Erziehung überfordert sind, bestreitet niemand, der beruflich mit Kindern oder Eltern zu tun hat. „Im Kindergarten müssen wir den Kleinen oft die einfachsten Dinge beibringen,“ sagt die Münchner Erzieherin Alex Kozak.

„Manche haben zu Hause weder Essen gelernt noch ‚Bitte’ und ‚Danke’ zu sagen“. Ohne Erziehung ist aber auch später an den Schulen kein Unterricht möglich, so Waltraud Lucic. Die Vorsitzende des Münchner Lehrer- und Lehrerinnenverbandes weiß auch, wie schwierig es sein kann, Eltern von Schülern mit schlechten Schulnoten überhaupt zu erreichen. „Viele kommen in keine Sprechstunde mehr, weil sie ja eh nur wieder hören, was alles schief läuft.“ Und auch beim Bayerischen Elternverband bestreitet niemand, dass Eltern vieles falsch machen. „Aber woher sollen Eltern auch erziehen können?“, fragt dessen Vorsitzende Isabell Zacharias, vor allem, wenn sie selbst vielleicht ohne Eltern aufgewachsen sind? „Für unseren Beruf brauchen wir alle eine Ausbildung, Autofahren dürfen wir nur mit Führerschein. Wieso sollen wir dann ohne Vorbereitung Kinder großziehen können?“

Weil dies viele eben nicht hinbekommen, haben die Grünen im Münchner Stadtrat jetzt Elternseminare beantragt. Testweise sollen sie zunächst an Kindertagesstätten und später auch an Schulen eingeführt werden. Die Idee kommt aus Berlin. Wer seine Kinder an der dortigen Nikolaus-August-Otto-Hauptschule anmelden will, muss zuvor zwei Stunden pro Woche die Schulbank drücken, zehn Wochen lang. Die Eltern erleben so, wie der Unterricht für ihre Kinder abläuft und sie erfahren, was Schule heute ist - manche haben seit ihrem letzten Schultag kein Klassenzimmer mehr von innen gesehen. Im Elterntraining erfahren sie, was Lehrer sich von Eltern wünschen, sie können Erziehungs-Probleme besprechen und bekommen Tipps für den Umgang mit ihren Kindern.

Sie lernen, auch wenn es manchen schwer fällt, pünktlich zum „Unterricht“ zu erscheinen und bis zur nächsten Woche müssen sie Hausaufgaben machen – zum Beispiel ihren Kindern zu Hause einmal ganz bewusst und aufmerksam zuzuhören. Wer drei Mal unentschuldigt fehlt, ist durchgefallen – seine Kinder werden dann nicht aufgenommen. Und seit diesem Jahr müssen beide Eltern zum Erziehungstraining antreten. Trotz dieser strengen Bedingungen kann sich die Schule vor Bewerbern nicht retten. Jedes Jahr gibt es viel mehr Anmeldungen als freie Plätze.

Kann dieses Modell auch in München erfolgreich sein? „Auf jeden Fall“, glaubt Sabine Krieger, die bildungspolitische Sprecherin der Grünen im Stadtrat. Sie stellte den Antrag, noch ehe Kevins Schicksal die Schlagzeilen beherrschte. „Die Mitarbeit der Eltern am Kindergarten- und Schulleben ist ganz wichtig für den Bildungserfolg!“, sagt sie. In München sieht sie noch erheblichen Nachholbedarf. Manche Probleme von Eltern mit ihren Kindern „sind oft so grundlegend, dass sie nicht an einem Elternabend gelöst werden können.“ Dazu kommen die Schwierigkeiten von Eltern aus anderen Kulturkreisen. Im Libanon etwa, berichten Migrationsfachleute, sei es nicht üblich, sich um schulische Belange der Kinder zu kümmern. Und auch Eltern aus der Türkei haben ein anderes Verständnis von Bildung und Schule als es in Deutschland gängig sei, bestätigt Krieger.

Dass Eltern, gleich ob in Deutschland geboren oder nicht, viel Hilfe und manchmal auch Anreize brauchen, darüber sind sich Experten und Politiker einig, vom Münchner Stadtrat bis in die Staatsregierung. Kommt also bald der „Eltern-Führerschein“? Die Münchner CSU ist skeptisch. „Ich bin grundsätzlich sehr dafür“, sagt ihre Schulpolitische Sprecherin, Marianne Brunner. Auch Sanktionen für Eltern, die nicht an Trainingskursen teilnehmen, kann sie sich vorstellen. „Aber wir können Kinder nicht vom Unterricht ausschließen, schließlich gibt es eine Schulpflicht!“.

Öffentliche Schulen müssen alle Schüler aufnehmen, heißt es auch im Schulreferat. „Und Zwang ist aus pädagogischer Sicht immer problematisch.“ Doch Sabine Krieger ist sicher, dass auch in München möglich ist, was Berlin vormacht. „Ich gehe davon aus, dass der Stadtrat zumindest für einen Modellversuch grünes Licht gibt!“ Von Gecko Wagner

Ihr Kind raubt Ihnen den letzten Nerv? Mama und Papa schimpfen dauernd und können nie nett sein?

In München gibt es zahlreiche Anlaufstellen für Kinder, Eltern und Familien. Wer nicht weiter weiß oder einfach Fragen hat, kann hier unkompliziert anklopfen.

Erziehungsberatungsstelle, Landwehrstraße 15, Rgb., Telefon 0 89 / 5 90 48-1 30

MKE-Mutter-Vater-Kind-Einrichtung, Maistraße 44, Telefon 089 / 544 66 20

Ehe, Partnerschafts- und Familienberatung München e.V. Rückertstraße 9, Telefon 089 / 544311-0

Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e.V., www.bke-elternberatung.de

Das Familienhandbuch von Prof. Wassilios E. Fthenakis www.familienhandbuch.de

Artikel vom 19.10.2006
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