Die Stadt steigt um – Interview mit Jens Barth, Leiter des Teilprojekts „Linux Client“

Weg mit Windows

Im Projekt „LiMux“ (Linux für die Landeshauptstadt München) ist Jens Barth der Leiter des Teilprojekts „Linux Client“. Gemeinsam mit seinen elf Mitarbeitern ist er dafür verantwortlich, dass die vielen tausend städtischen Angestellten mit dem künftigen Betriebssystem auf ihren Rechnern vernünftig arbeiten können. Im Gespräch mit dem SamstagsBlatt berichtet er vom Lob aus dem Ausland und den Schwierigkeiten im Alltag eines Münchner Computerexperten.

Herr Barth, gerade eben werden die Arbeitsplatzcomputer der Stadtverwaltung – 14.000 an der Zahl – von „Windows“ auf „Linux“ umgestellt...

Nein! Nicht alle, sondern ein bedeutender Anteil. Bis etwa Mitte 2009 wollen wir vier von fünf Rechnern umgestellt haben, die übrigen Arbeitsplätze sind so spezialisiert, dass eine Umstellung zunächst nicht lohnt und diese deshalb erst mal weiter mit „Windows“ betrieben werden. Und wer beginnt?

Die Umstellung startet in verträglichen Portionen und politisch ganz oben: Bis Dezember werden 90 Arbeitsplätze im direkten Umfeld des Oberbürgermeisters umgestellt, etwa sein Büro, das der zweiten Bürgermeisterin, die Direktoriumsleitung, einige direkt zugehörige Organisationseinheiten, sowie etwa die Frauengleichstellungsstelle.

Sie kommen da hin, nehmen die Rechner mit...

... na ja, etwas komfortabler darf es schon sein. Der LiMux Basisclient (so nennen wir unser neues Betriebssystem) wird von unserem Zentralcomputer zu Netzwerken vor Ort übertragen und von dort auf den Rechnern automatisiert installiert. Anders ist der Aufwand nicht zu stemmen. Die Installation selbst dauert, wenn alles gut vorbereitet ist, durchschnittlich etwa 20 Minuten. Nach dem Wechsel des Systems kann sich der Benutzer wieder neu anmelden und hat nun „Open Office“ statt Microsoft „Office“ sowie das Mailprogramm „Thunderbird“ und den Browser „Firefox“. Das Gefühl und die Bedienung bleiben aber ziemlich gleich.

Und was ist dann besser?

Für die betroffenen Endbenutzer nicht viel, aber einiges wird etwas anders. Obwohl einige Standardprogramme sehr ähnlich sind, kann es in den ersten Tagen Anlaufprobleme geben, weil die Menschen eine ganz bestimmte Erwartungshaltung gegenüber dem Arbeitsgerät Computer entwickelt haben. Aber das wird sich schnell legen und sie werden merken, dass die Computer ihre Aufgaben genauso oder in manchen Belangen sogar besser erledigen und auch einfach zu bedienen sind. Und dann gibt es natürlich noch das politische Ziel, das der Stadtrat ausgegeben hatte: Arbeiten mit „Linux“ heißt: Unabhängig zu sein von Monopolisten wie etwa Microsoft.

Wer „Linux“ hört hat Computerhacker im Kopf, die die ganze Zeit kryptische Dinge in die Tastatur tippen. Können Sie den städtischen Mitarbeitern diese Angst nehmen?

Ja, abgesehen von der eben sehr gewohnten und bald auch TÜV-zertifizierten Benutzeroberfläche gibt es umfangreiche Hilfestellung: Wir sind als greifbare Menschen vor Ort um die Technik zu erklären und die dezentralen Computer-Verantwortlichen nach besten Kräften zu unterstützen. Wir haben Diskussionsforen, eLearning-Angebote und werden den Administratoren neue, verständliche Handbücher zur Verfügung stellen. Aber klar ist auch: Umstellungsschmerzen werden nicht komplett zu vermeiden sein und ein wenig Neugier muss schon da sein, es ändert sich schließlich schon etwas.

Und was ändert sich?

Wir bieten den städtischen Beschäftigten, die täglich mit insgesamt weit mehr als 10.000 unterschiedlichen Dokumentvorlagen, Formularen und Office-Makros kämpfen müssen, künftig eine eierlegende Wollmilchsau namens „Wollmux“. Mit dieser für München neu entwickelten Software lassen sich sehr komfortabel Dokumente erstellen und Formulare befüllen – zwar anders als früher, aber dafür mit einer stadteinheitlichen Lösung und im Durchschnitt einfacher im Endeffekt. Und für uns ändert sich die Arbeit: Wenn etwas besser oder anders werden soll, dann können wir das beinahe von einem Tag auf den anderen selbst programmieren. Bei Microsoft „Windows“ ist das doch überhaupt nicht möglich.

Sie planen, testen und überlegen nun schon seit drei Jahren, ist das wirklich notwendig?

Viele Annahmen und Ergebnisse vom Projektbeginn konnten nicht übernommen werden. Und außerdem läuft halt nicht alles reibungslos, dazu ist die derzeitige Computer-Struktur in München zu verschieden. Das müssen wir alles im Auge haben und lösen, denn stellen sie sich nur vor, wenn die Arbeitsplätze in den Sozialbürgerhäusern oder dem Kreisverwaltungsreferat während der Öffnungszeiten nicht funktionieren. Dann ist der Teufel los.

Die Testphase ist beendet - die richtige Umstellung hat begonnen. Das heißt, dass inzwischen alle Probleme gelöst sind.

Viele Fragen sind gelöst, aber an manchen Stellen hakt es noch. Bei umfangreichen Serienbriefen etwa, oder beim Dokumentenaustausch zwischen „Open Office“ und Microsoft „Office“. Es hat sich auch herausgestellt, dass die Fragen Softwareverteilung und Systemkonfiguration schwieriger zu lösen waren, als wir gedacht hatten. Und natürlich gibt es vor allem auch noch die Menschen, die damit arbeiten sollen. Die können wir nur überzeugen, wenn wir ein gutes Produkt anbieten.

München ist eine der ersten Städte in der Welt, die Microsoft aufgibt. Merkt man das?

Auf alle Fälle, immer noch bekommen wir viele Fragen, weil wir uns zu freier Software bekennen. So gibt es etwa immer wieder Kontakte mit Wien und Paris, die ihre Computer teilweise auch umstellen. Und es kommen Delegationen aus aller Welt, etwa Südkorea oder Afrika, die wissen wollen. was wir tun, wie das geht, die uns auch loben für unseren Mut. Und wir stehen in engem Kontakt mit der so genannten Community, sagen den „Linux“- und „Open Office“-Programmierern, was wir brauchen und tragen dazu bei, dass sich die Software weiter entwickelt. Einige Anteile unserer Entwicklungen fließen bereits in die Community zurück. Ab nächstem Jahr planen wir, unsere gesamten eigenen Programme auch aktiv in die weltweite Software-Community weiterzugeben und mit dem „LiMux“ Basisclient vielleicht auch anderen Städten und Gemeinden den Umstieg zu erleichtern.

Artikel vom 12.10.2006
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