Jeder zweite Münchner Azubi wünscht sich eine bessere Ausbildung

München - Leere beim Berufseinstieg

Ausbildung statt Ausbeutung – das wünschen sich Münchens Lehrlinge. Die Betriebe träumen im Gegenzug von motivierten Azubis. Foto: pixelquelle

Ausbildung statt Ausbeutung – das wünschen sich Münchens Lehrlinge. Die Betriebe träumen im Gegenzug von motivierten Azubis. Foto: pixelquelle

Der Anfang ist gemacht! Etwa 7.500 Münchner Azubis haben soeben die ersten Tage ihres ersten Ausbildungsjahres hinter sich gebracht. Das allerdings mehr schlecht als recht, wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) vermutet: In einer aktuellen Studie stellt er die Qualität vieler Münchner Ausbildungsbetriebe in Frage. Denn jeder zweite Azubi in der Stadt wünscht sich eine bessere Lehrstelle – die Rahmenbedingungen ihrer Ausbildung seien ungenügend, so der DGB. Die hiesigen Betriebe indes weisen die Vorwürfe von sich und bezeichnen viele Jugendliche als „ausbildungsunfähig“.

Bis zum 31. August hat die oberbayerische Industrie- und Handelskammer 13.598, die Handwerkskammer München und Oberbayern 5.800 neue Auszubildende registriert. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Lehrstellen damit um rund drei Prozent gestiegen – eine erfreuliche Meldung, statistisch gesehen. Allerdings: „In Zeiten von Jugendarbeitslosigkeit wird immer nur auf die Quantität geachtet. Die Qualität der Ausbildungsplätze ist kaum ein Thema“, wie Roland Wehrer vom DGB in München schimpft. „Das muss sich ändern.“

Keineswegs wolle der DGB die Ausbildungssituation schlecht reden, versichert er – doch Missstände gehören aufgedeckt. Und da in jüngster Zeit auffallend viele Beschwerden junger Azubis ins Haus getrudelt waren, hatte der Gewerkschaftsbund im Sommer eine Studie in Auftrag gegeben: Knapp 1.000 Auszubildenden wurden zu ihren Arbeitsbedingungen befragt, um herauszufinden, ob ihre Dienstherren und Meister die verschiedenen Arbeitszeit-, Berufsbildungs- und Jugendarbeitsschutzgesetze einhalten. Die Studie brachte Unerfreuliches ans Licht: Die Hälfte der Auszubildenden in München wünscht sich eine bessere Lehrstelle, denn an den Rahmenbedingungen ihrer Arbeit hapere es gewaltig.

Fast alle Lehrlinge mussten laut der Umfrage Überstunden leisten – oft über die gesetzlich erlaubte Maximalstundenzahl hinaus. Und das häufig ohne Gegenleistung: Ein Drittel der Absolventen darf die Überstunden weder ausgleichen, noch werden diese bezahlt. Bei jedem zehnten Auszubildenden wird ferner die Berufsschulzeit nicht auf die Arbeitszeit angerechnet. „Und bei jedem zweiten Münchner Azubi entsprechen die Eintragungen im Berichtsheft keineswegs der betrieblichen Wirklichkeit“, ergänzt Wehrer. „16 Prozent wurden sogar von ihren Chefs aufgefordert, falsche Angaben zu machen.“

Freilich gibt es auch Positiv-Beispiele wie die Stadtwerke München, die über ihren eigenen Bedarf ausbilden, da sie dies für die „soziale Verpflichtung eines kommunalen Unternehmens“ halten, so Oberbürgermeister Christian Ude. Und das auf höchstem Niveau, was die Prüfungsergebnisse der SWM-Absolventen belegen, die im Schnitt über den Noten aller Industrie- und Handelskammer-Lehrlinge liegen. Aber es gibt eben auch das Gegenteil in Münchner Betrieben. Extremfälle etwa wie der des Auszubildenden, der zum Ende seines Lehrjahres erst drei Mal die Berufsschule besucht hatte. So etwas zeige, dass viele Betriebe in ihren Lehrlingen nichts als billige Arbeitskräfte sehen, so DGB-Mann Wehrer. „Der junge Mann wurde dazu verdonnert, die gesamte Zeit im Betrieb zu malochen“, erzählt Wehrer. „Wie soll er auf diese Weise die Berufsschule schaffen?“

Die Wirtschaft wehrt sich gegen die Vorwürfe des DGB: Freilich gebe es wie überall im Leben auch unter den Ausbildern schwarze Schafe, sagte Jens Christopher Ulrich, Sprecher der Handwerkskammer für München und Oberbayern. „Aber es gibt auch Lehrlinge, die sich bereits ausgebeutet fühlen, wenn sie mal in der Werkstatt aufräumen müssen.“ Das allerdings gehöre etwa in einer Schreinerei dazu – „wo Späne fallen, müssen sie auch weggemacht werden.“ Zur Haupttätigkeit allerdings dürfe das Aufräumen nicht werden – „ganz klar.“

Die Industrie- und Handelskammer indes holt noch weiter aus: Das größte Problem bei den Ausbildungen sei „die mangelnde Ausbildungsreife der Jugendlichen“, so eine bundesweite Umfrage unter Betrieben; viele Bewerber seien wenig leistungsbereit und unmotiviert. Und auch das mündliche und schriftliche Ausbildungsvermögen der Schulabgänger lasse zu wünschen übrig. Ferner könnten viele Lehrlinge kaum rechnen – obwohl die Betriebe keine höhere Mathematik, sondern lediglich die Grundrechenarten verlangen. Von Nadine Nöhmaier

Artikel vom 07.09.2006
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