Wild und gefährlich: Christian Ertl führt durch 50 Jahre Münchner Popkultur

Schwabing · Punk macht nicht krank

Christian Ertl mit einigen Tonträgern von Münchner Bands. Foto: ms

Christian Ertl mit einigen Tonträgern von Münchner Bands. Foto: ms

Schwabing · Beim Ausgehen früh aufbrechen, damit man morgens wieder schön fit für die Arbeit ist, das findet Christian Ertl »lächerlich«. »Wer feiern kann, kann auch arbeiten«, weiß der waschechte Milbertshofener. Für ihn ist das mehr als ein Spruch: Ertl – seit 20 Jahren solider Käsehändler, der auch Käseseminare an der Volkshochschule gibt – ist trotz seiner 46 Jahre gern und regelmäßig mit Freunden im Münchner Nachtleben unterwegs.

Deshalb führt Ertl nun für den Verein »Stattreisen« auf einem zweistündigen Rundgang durch 50 Jahre Popkultur in München, an legendäre Orte und Momente (am 19. August, 2. und 8. September, 19 Uhr, Treff: Leopold-/Feilitzschstraße, 8/6 Euro, MVV-Ticket nötig).

Ertl hat sich das nicht nur einfach angelesen, 30 Jahre davon hat er selbst aktiv miterlebt. »Das wird aber keine stoibermäßige Kulturführung«, betont er. Sondern die Tour will zeigen, wo München trotz mancher Vorurteile und Klischees durchaus wild und gefährlich war und ist: wo der Punk abging und wo Graffiti und Streetart lebt; welche Promibar die Spider Murphy Gang zu ihrem Lied »Schickeria« (»Ja in Schwabing gibts a Kneipn, de muass ganz was Bsondres sei, da lassens solche Leit wie di und mi erst gar ned nei«) inspirierte; wo AC/DC für Erdbebenalarm sorgten und in welcher legendären Halle im Münchner Norden Depeche Mode vor 40 Leuten spielten; was es mit den Schwabinger Krawallen auf sich hat oder welche Kneipe die »New York Times« zur besten Münchens erkoren hat.

Das ist zufällig auch Ertls Lieblingskneipe, das »Exzess« im Glockenbachviertel. Dabei fühle er sich aber nicht als »Berufsjugendlicher«. Bei Konzerten (»heute einmal pro Woche, früher dreimal«) stehe er als Brillenträger zwar nicht mehr ganz vorne, da im Eifer des Gefechts schonmal das teure Gestell Schaden nehmen kann, aber auch nicht ganz hinten, wie Typen vom Schlage »zynisches Musikmackertum«.

»Ich bin kein Fachsimpler, sondern einfach Fan«, übrigens auch vom FC Bayern, bei dem er seit 30 Jahren Mitglied ist. Gute Atmosphäre sei ihm das Wichtigste. Auch als DJ, ab und zu im »Exzess«, auf Partys und am Samstag beschallt er sogar seinen Käsestand. Sein Stil: »nur Sommermusik« – auch im Winter. Damit sei aber nicht Ballermann-Sound gemeint, sondern das reicht von Münchner Ska (Bluekilla), über die Achtziger-Jahre-Elektropopper ABC bis zu aktuellen Brit-Rockern wie Arctic Monkeys.

Geschätzte zehn Meter Platten und dreißig Meter CDs hat er zuhause, geordnet nach Jahreszahlen, außerdem sammelt er seit den frühen Achtziger Jahren Münchner Konzert- und Partyflyer. Ein Instrument spiele er nicht, »höchstens Luftgitarre«.

Das »Risikoarme« missbilligt er, auch beim heutigen Fußball. Genauso das überperfekte, aufgesetzte oder verlogen-weltverbesserische von Bands wie U2. Was für Ertl zählt, ist die Emotion, die rüberkommt, »das funktioniert oft besser bei drei beherzten Griffen.«

Angefangen hat alles mit Manuelas »Schuld war nur der Bossanova«, mit 16 kam durch »The Clash« die bis heute dauernde Begeisterung für Punk. Der Spaß hört für Ertl nur bei einem auf: Loungemusik. »Das ist das Schlimmste: Musik, die da sein, aber nicht auffallen darf, nur zum Wellness-Latte Macciato passen soll, das ist keine richtige Musik.«

Artikel vom 14.08.2006
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...