Die Mustersiedlung hat eine bewegte Vergangenheit

Ramersdorf · Ramersdorfer Geschichte

So sehen die Häuser der Mustersiedlung heute aus – Idylle im Herzen von Ramesdorf. Foto: aha

So sehen die Häuser der Mustersiedlung heute aus – Idylle im Herzen von Ramesdorf. Foto: aha

Ramersdorf · Anlässlich des 1000-jährigen Jubiläums von Ramersdorf will der Haidhausener Anzeiger in einzelnen Artikeln interessante Ereignisse aus der Geschichte des 1864 nach München eingemeindeten Stadtteils Ramersdorf zeigen.

Wir beginnen mit der ab 1934 nahe des alten Ortkerns auf dem ehemaligen Ziegeleigelände errichteten »Mustersiedlung«. Sie liegt im Gebiet zwischen Chiemgaustraße, Rosenheimer Straße, Herrenchiemseestraße und Hohenaschauerstraße und besteht überwiegend aus freistehenden Einfamilienhäusern. Ihr Initiator war der Münchner Stadtrat und städtische Wohnungsreferent Guido Harbers (1897-1977), der Nationalsozialist, aber auch begeisterter Architekt war. Am 9. März 1933 hatte er von Karl Preis den Posten des Referenten für Wohnungs- und Siedlungswesen sowie Arbeitsbeschaffung übernommen, den er bis 1945 innehatte.

Infolge der Weltwirtschaftskrise, der steigenden Arbeitslosenzahlen und des Zusammenbruchs des Kapitalmarkts konnten die großen städtischen Wohnbauprogramme wie beispielsweise am Karl-Preis-Platz nicht fortgeführt werden. Vielmehr wurde in einem Bericht des städtischen Wohnungsausschusses von 1932 befunden, dass in Zukunft vermehrt auf Selbstversorgung gesetzt werden müsse. Es entstand die Idee des Kleinsiedlungsbaus.

Vor den Toren der Städte sollten Häuser auf billigem Baugrund mit Hilfe billiger Kredite der öffentlichen Hand von ihren späteren Besitzern errichtet werden. Auf den dazugehörigen Grundstücken sollten Obst und Gemüse angebaut werden und Kleintierhaltung zur Versorgung beitragen. Guido Harbers war ein Vorreiter dieser Siedlungsidee und plante, mit der Mustersiedlung als Kern der »Deutschen Siedlungsausstellung« geeignete Wohnformen für den Mittelstand zu präsentieren.

Allerdings hatte sich Harbers von einem Paradestück der Neuen Sachlichkeit, der Stuttgarter Weißenhofsiedlung von 1927, zu der Idee einer gebauten Siedlungsausstellung anregen lassen, weswegen etliche NS-Politiker die Mustersiedlung ablehnten. Harbers beschrieb den Sinn und das Ziel der Siedlungsausstellung: Sie »geht von dem Gedanken aus, den Deutschen im eigenen Land das Leben wieder lebenswert zu machen. Ihm liegt der Gedanke inne, der Familie ihren engeren Lebensraum auf eigener Scholle zu verschaffen«.

Trotz dieses Vorsatzes entsprach einiges in der Siedlung nicht dem nationalsozialistischen Idealplan eines Vorbildes für die Volksgemeinschaft. Als »eigene Scholle« standen zwar schöne Einfamilienhäuser zur Verfügung, in denen alle sozialen Schichten leben sollten. Aber nur sieben Prozent der Bewohner waren Arbeiter, meist besserbezahlte Facharbeiter, die sich die 56 Quadratmeter großen Häuschen überhaupt leisten konnten. In den übrigen Häuschen wohnten Mitglieder der freien Berufe, der Verwaltung und der Geschäftswelt Münchens. Diese Schicht war nicht auf die angedachte Selbstversorgung angewiesen und so dienten die Kleingärten der Erholung, anstatt der Kleintierzucht.

Die ursprünglichen Straßennamen – nach »acht Blutzeugen der Bewegung« – wurden unmittelbar nach dem Krieg durch Ortsbezeichnungen aus dem bayrischen Oberland ersetzt.

Betrachtet man die Anlage der Mustersiedlung, fällt auf, dass alle Straßen und Häuser auf die Kirche St. Maria Ramersdorf ausgerichtet sind, was der Siedlung eine klare Ordnung und Struktur gibt, aber auch als ein unbewusstes Zugeständnis an die machtvolle politische Stellung der katholischen Kirche als Institution verstanden werden kann.

Artikel vom 14.08.2006
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