Die Stadt soll Kritzeleien im Keller des früheren »Führerbaus« erhalten

Maxvorstadt · US-Graffiti in Gefahr

Karlheinz Kümmel setzt sich dafür ein, dass die Kritzeleien US-amerikanischer Soldaten erhalten bleiben.	 Foto: ras

Karlheinz Kümmel setzt sich dafür ein, dass die Kritzeleien US-amerikanischer Soldaten erhalten bleiben. Foto: ras

Maxvorstadt · Während in den Hallen der Münchner Musikhochschule klassische Musik von Bach und Chopin erklingt, geht es zehn Meter unter der Erde alles andere als schöngeistig zu: Arbeiter hämmern am Verputz, Funken stieben an den Rohren, überall bröckelt die Wand.

Der knapp 100 Meter lange unterirdische Kanal, der das Haus an der Arcisstraße 12 mit den Universitätsgebäuden an der Meiserstraße verbindet, ist zurzeit eine einzige Baustelle: in der Maxvorstadt wird auf Fernwärme umgerüstet. Das Problem an der Musikhochschule: Die Bauarbeiten gefährden die Graffitis an den dortigen Kellerwänden, die von amerikanischen Soldaten während der Besatzungszeit angefertigt wurden.

»Dieses historische Erbe darf nicht verloren gehen«, fordert nun Klaus Bäumler (CSU), Chef des Bezirksausschusses Maxvorstadt (BA 3). Karlheinz Kümmel hat einen ungewöhnlichen Arbeitsplatz: Zurzeit werkelt der Sicherheitstechniker im Gewirr aus Rohrkanälen und Lagerräumen im Musikhochschul-Keller. Er plant, Münchner Luftschutzbunker systematisch zu erfassen, um deren Geschichte eines Tages in einem Buch zu dokumentieren.

Der BA 3 holte ihn daher auch auf den Plan, als die Gefahr bestand, die Inschriften amerikanischer Soldaten im Musikhochschul-Keller könnten durch die Arbeiten der Stadtwerke beschädigt werden – Kümmel sollte beurteilen, wie wertvoll die Graffiti seien. Dieser wies darauf hin, dass mehr als die Kritzeleien geschützt werden müsste: Denn hier, im ehemaligen Luftschutzbunker der Nazis, schlummern seit über 60 Jahren, wenige Meter neben den lauten Bauarbeiten am Kanal, adrette, mit rosa Stoff überzogene Sessel, Tische aus dunklem Eichenholz sowie ein Schachbrett, auf dem seinerzeit diverse Nazi-Größen gegeneinander gekämpft hatten.

Diese Nazi-Idylle endete wenige Tage vor Kriegsende hinter zentimeterdicken Eisentoren mit der Aufschrift »Kein Zutritt«. Nachdem die Amerikaner damals die Stadt eingenommen hatten, durchkämmten sie diverse Münchner Gebäude, um Waffen zu suchen, wie Kümmel erzählt. Auch, und besonders, die jetzige Musikhochschule nahmen sie ins Visier – »schließlich befinden wir uns hier im ehemaligen Repräsentationsbau von Hitler.«

Irgendwann allerdings muss den Amerikanern die Zeit im Dickicht des zerschossenen Areals unendlich lang vorgekommen sein: Und so haben sie den Wänden im Rohrkanal ihren Stempel aufgedrückt – mit Graffitis und Zeichnungen, aus Sehnsucht nach ihrer Heimat. Für das Haus ist dieses Gekritzel nun von unschätzbarem Wert: Und so wollen sowohl BA-Chef Bäumler als auch der Kanzler der Musikhochschule, Alexander Krause, alles daran setzen, es zu erhalten. »Die Zeichnungen dokumentieren die unmittelbare Zeit in München nach dem Zweiten Weltkrieg«, so Bäumler.

Den ganzen Kanal übrigens ziehen sich diese Graffitis entlang, an Seitenwänden tauchen sie auf, selbst knapp über dem Boden sind sie zu finden. Ein Soldat hoffte auf eine baldige Rückkehr: »Hope to be back on Christmas«, hat er in die olivgrüne Wand geritzt. Ein anderer hatte einfach Lust, sich zu verewigen: »Gerald Harvey, Milwaukee«, steht da. Und immer wieder Zeichnungen von nackten Frauen und sich küssenden Liebespaaren.

The best looking guy is in love with some woman«, heißt es an einer anderen Stelle. »Die hatten ja im Kriegseinsatz in weiter Ferne keine Frauen«, sagt Kümmel. Die Stadt hat bereits zugesichert, die Zeichnungen zu schützen und sie während der laufenden Arbeiten mit breiten Holzlatten abdecken zu lassen. Am liebsten wäre es Direktor Krause, die Wände mit Plexiglasscheiben einzufassen. Damit ein Zeugnis erhalten bleibt, das nach seiner Ansicht »zu den geschichtsträchtigsten Dokumenten« der Münchner Nachkriegszeit gehört.

Artikel vom 04.07.2006
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...