In dieser Serie stellen wir in loser Reihenfolge ungewöhnliche Nachbarn vor

Stadt-Bewohner · Polizist trifft ehemaligen »Fahrgast«

Ein Bild fürs Familienalbum: Andrea Klement und ihr Geburtshelfer Gerhard Simmel. Foto: Privat

Ein Bild fürs Familienalbum: Andrea Klement und ihr Geburtshelfer Gerhard Simmel. Foto: Privat

München / Neubiberg · Oft entscheiden Minuten über das Schicksal eines Menschen. Die Neubibergerin Andrea Klement zumindest hatte Riesenglück, als sie noch nicht einmal geboren war: Wäre der Regensburger Polizist Gerhard Simmel nicht am 6. April 1988 punkt 17.58 Uhr am Münchner Viktualienmarkt Streife gefahren, hätte es ihre Mutter Anni Klement vermutlich nicht rechtzeitig ins Krankenhaus zur Entbindung geschafft. Mit Blaulicht brachte er die sich vor Schmerzen krümmende Münchnerin in die Maistraße. Um 18.30 Uhr war Andrea geboren.

Nun haben sich der Polizist und sein früherer »Fahrgast« erstmals in der Wohnung der Klements in Neubiberg bei München getroffen. Andrea Klement wirkt ruhig und gefasst an diesem Nachmittag. Doch die Freude ist ihr aus den Augen zu lesen: Mit warmem Blick mustert sie den kräftigen Mann mit dem grauen Schnauzbart und dem verschmitzten Lächeln, der erstmals nach 18 Jahren vor ihr im Wohnzimmer steht. »Er ist wirklich nett – genau so, wie ich es mir vorgestellt habe«, sagt sie ein wenig schüchtern. Auch Simmel hegt eine große Sympathie für die zierliche junge Dame, die ein Säugling war, als er sie zuletzt gesehen hat: »Du bist ja ein richtiger Prachtkerl!«, schwärmt er. Ohne den gebürtigen Regensburger, der von 1987 bis 1993 Polizist in München war, hätte es Andreas Mutter nicht rechtzeitig in die Frauenklinik in der Maistraße geschafft.

Es ist der 6. April 1988. Anni Klement liegt in den Wehen, als das Ehepaar von einer befreundeten Familie in Bogenhausen ins heimische Neubiberg aufbricht. Eine Sturzgeburt kündigt sich an, die klaren Signale ihres Körpers sagen ihr: So schnell wie möglich ins Krankenhaus! Doch es ist Berufsverkehr in der Münchner Innenstadt, die Straßen sind verstopft. Am Viktualienmarkt geht es schließlich nicht mehr weiter. Vater Franz, der das Auto lenkt, ist verzweifelt.

Da sieht er 50 Meter weiter einen weiß-grünen Kombi. Es sind die Polizisten Gerhard Simmel, Thomas Raab und Peter Stiegler, die Streife fahren. Unter dem Gehupe der wartenden Autos springt Franz aus seinem Mercedes, läuft auf das Polizeiauto zu und reißt die Fahrertür auf. Der Ernst der Lage wird den Beamten schnell klar: »Ich habe noch die Zentrale verständigt und sofort grünes Licht für den Einsatz bekommen«, schildert Simmel.

Mit Blaulicht und quietschenden Reifen rast das Fahrzeug dann über Sendlinger Tor und Lindwurmstraße zur Frauenklinik in der Maistraße. Um 17.58 Uhr bremst das Auto vor dem Krankenhaus, um 18.30 Uhr hält Mutter Anni bereits ein schreiendes, kerngesundes Baby in den Händen. Am Tag nach der Geburt brachte Simmel noch Blumen vorbei, dann hat die Familie nichts mehr von ihm gehört. Bis er sich jetzt aus Regensburg, seinem Einsatzort seit 13 Jahren, bei den Klements meldete. Aus dem Säugling ist inzwischen ein strahlendes Mädchen geworden. Die Zwölftklässlerin und Beste ihres Jahrgangs ist voller Tatendrang, sie spielt Klavier und Geige und will Betriebswirtschaftslehre studieren. »Vielleicht hat mir diese abenteuerliche Geburt den Kick fürs Leben gegeben«, sagt sie schmunzelnd.

Warum sich Simmel erst so spät gemeldet hat? »Ganz einfach: Ich war ja in Regensburg und komme so gut wie nie nach München. Aber ihren 18. Geburtstag wollte ich mir nicht entgehen lassen.« Rafael Sala

Artikel vom 03.05.2006
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