Alles nur Schicki und Bussi? Die Kammerspiele fragen: Wem gehört die Stadt?

Münchner Zentrum · Angst essen Zentrum auf

Herausfinden, was Münchens Mitte alles sein kann: Das Stück »Angst essen Zentrum auf« schaut hinter die Fassaden von Sonnenbrillenhausen. F.: Szenenbild/VA

Herausfinden, was Münchens Mitte alles sein kann: Das Stück »Angst essen Zentrum auf« schaut hinter die Fassaden von Sonnenbrillenhausen. F.: Szenenbild/VA

Münchner Zentrum · Das Zentrum, der Teil Münchens mit den besonders hohen Mieten und Preisen, der fassadenhafte Teil, ist nicht nur Mittelpunkt des städtischen Lebens, sondern auch der des neuen »Bunnyhill«-Projekts der Kammerspiele: »Es wird in Münchens Mitte Theater, Interventionen, Academies, Konzerte und Clubs geben. Wir besetzen eine Wohnung, wir errichten einen Hafen, wir kämpfen um einen öffentlichen Platz, wir lagern auf Straßen« – so tönt es vom Theaterhaus an der Maximilianstraße.

Die Projekte sollen Ausdruck einer vielgestaltigen Fantasie davon sein, was Münchens Mitte alles sein könnte. Sie sollen die zentrale Frage aufwerfen: »Wem gehört die Stadt?«

Weitere Informationen zu „ghettokids“
Hochgelobt wurde einst das erste »Bunnyhill«: Aus dem Umfeld der Münchner Kammerspiele wurde das Projekt im Herbst 2004 ins Leben gerufen. Es galt zu zeigen, dass es in dieser Stadt Orte gibt, um die sich keiner so recht kümmern mag, die »Brennpunkt« genannt werden, von manchen gar »Ghetto«. Auf das Hasenbergl richtete sich damals das Augenmerk, vielleicht hätte es auch Perlach oder Moosach sein können. Der Staat »Bunnyhill« wurde gegründet, die Losung war nicht zu überhören: »Holt die Peripherie ins Zentrum!« Das Draußen nach Drinnen also; das, was keiner sehen mag, dorthin, wo keiner wegschauen kann. So saßen im Neuen Haus der Kammerspiele nahe der noblen Maximilianstraße dann reihenweise Schicke und Hippe und waren begeistert von den Original-Ghetto-Kids vom Hasenbergl, die sich die Seele aus dem Leib spielten im Stück »Der Junge, der nicht Mehmet heißt«. »Bunnyhill« war angesagt. So was von angesagt.

War es damals noch cool, sich den »Bunnyhill«-Gedanken zu nähern, weil fern der eigenen Wirklichkeit, so geht es jetzt plötzlich um den Ort, an dem München oft das Klischee von München ist: um Sonnenbrillenhausen. Aber: Neuerdings ist der Gärtnerplatz umgeackert und Paul Prada und Dagmar Dior wissen auf einmal gar nicht mehr so recht, wer das entschieden hat. Und: wie man sich dagegen wehren soll. Die »Bunnyhill-Academy« – »How to make a Bürgerinitiative« – kümmert sich daher genau darum: um das Beibringen von demokratischem Selbstverständnis. Alles also schlecht am Stadtkern? Ruth Feindel, als Dramaturgie-Assistentin an den Kammerspielen mit dem »Bunnyhill«-Projekt beschäftigt, verneint heftig: »Das ist auf keinen Fall ein Jammer-Projekt für oder gegen München. Wir sagen nicht: Alles muss sich ändern!«

Vielmehr gehe es darum, das Theater als Stadt-Theater zu begreifen. Das Theater verlasse dafür selbst sein Zentrum, eben das Theater, um andere Orte in der Stadt zu finden, zu besetzen und umzudeuten. Und tatsächlich: Auch in der Innenstadt leben Menschen am Existenzminimum, nicht alles hier ist »Sonnenbrille«. »Bunnyhill« soll also genau das zum Vorschein bringen. Das Stück »A – Angst essen Zentrum auf« von Peter Kastenmüller ist nicht nur im Titel an den Film des legendären Münchner Filmemachers Rainer Werner Fassbinder (»Angst essen Seele auf«) angelehnt. Auf die Bühne kommen auch Bewohner der Sendlinger Straße 52, dem Haus, in dem Fassbinder aufwuchs, seine Eltern eine Arztpraxis und eine Pension betrieben, zu einer Zeit, als die Sendlinger Straße noch als »Glasscherbenviertel« galt – wie fast das ganze Zentrum.

Dass Glasscherbenviertel auch einen Gefühlszustand beschreibt, findet vielleicht »Bunnyhill« heraus. Und nicht nur in Theaterinszenierungen: »Es geht uns um die Dreiteilung: Theater, Intervention, Academy«, so Feindel. »Academy« böten moderne Schulungen, Bürgerkunde quasi. Verschiedene Künstlergruppen versuchen hierbei vor Ort, am Brennpunkt, im Zentrum, eine Annäherung. Ob im Haus an der Sendlinger Straße 52, wo die »Praxis Fassbinder« eingerichtet wird, oder am Stachus, wo eine Hafenszenerie aufgebaut wird – »Kunst und politische Praxis sollen sich verschränken, jeder soll am Ende für sich selbst herausgefunden haben, wem eigentlich die Stadt gehört.«

Am 21. April startet das zentrale »Bunnyhill«-Stück »A – Angst essen Zentrum auf« – um 20 Uhr. Premiere ist am 22. April ebenfalls um 20 Uhr – im Neuen Haus der Kammerspiele. Die »Praxis Fassbinder« hat nahezu täglich geöffnet. Mehr Infos gibt es unter Telefon 2 33-3 71 00 oder im Internet unter www.bunnyhill.info.

Florian Falterer

Artikel vom 18.04.2006
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