Erbschein kann auch nach Jahren geändert werden

Amtsgericht entscheidet

München · Anfang Mai 1978 war ein Münchner knapp 80 Jahre alt verstorben. Er hatte im Fränkischen ein Grundstück im Wert von etwa 90.000 DM sowie Barvermögen von etwa 80.000 DM hinterlassen.

Ein Testament wurde damals nicht vorgelegt. Das Amtsgericht München, Nachlassgericht stellte noch im Mai 1978 der Witwe und dem Sohn des Verstorbenen aufgrund gesetzlicher Erbfolge einen gemeinschaftlichen Erbschein aus, der sie als Erben zu je der Hälfte auswies.

Im Januar des vergangenen Jahres meldete sich eine Großnichte des Verstorbenen und beantragte den bisherigen Erbschein als unrichtig einzuziehen und einen neuen Erbschein zu erteilen: Der Verstorbene habe den letzten Jahreswechsel seines Lebens nicht bei seiner Ehefrau verbracht, sondern bei der Familie seines verstorbenen Bruders. Dort habe er Anfang Januar 1978 ein Testament verfasst, wo er seinen elterlichen, fränkischen Grundbesitz seiner Schwester und seinen drei Großnichten zu je einem Viertel vermachte. Dieses Testament liegt allerdings im Original nicht vor, sondern nur in einer Fotokopie. Ort und Tag der Errichtung waren darin nicht angegeben.

Der Sohn widersetzte sich: Sein Vater habe dieses Testament nicht eigenhändig verfasst, er sei Anfang Januar 1978 auch gar nicht mehr dazu fähig gewesen. Diese letztwillige Verfügung sei allenfalls eine Vermächtnisanordnung, keine Erbeinsetzung. Das Nachlassgericht vernahm mehrere Zeugen und kam zu dem Ergebnis, dass ein neuer, geänderter Erbschein zu erteilen ist: Der Vater der Antragstellerin bestätigte, dass der Erblasser das fragliche Testament errichtet habe, das er sodann fotokopierte. Andere, auch am Verfahrensausgang wirtschaftlich nicht interessierte Zeugen bestätigten, dass der Erblasser davon erzählt habe, dass er sein elterliches Grundstück unter anderem seinen Großnichten vermacht habe. Ein Zeuge hatte dieses Testament auch kurz nach Mai 1978 noch im Original gesehen und erinnerte sich noch an die "krumme Handschrift".

Das Gericht gewann die Überzeugung, dass der Erblasser das fragliche Testament tatsächlich errichtet hat. Die Unauffindbarkeit des Originals ist unschädlich, der Inhalt wird durch die Fotokopie hinreichend belegt. Auch an der Echtheit der Unterschrift ­ auf dem unauffindbaren Original ­ zweifelte das Gericht nicht. Der Sohn legte trotz Aufforderung kein Schriftmaterial für ein schriftvergleichendes Gutachten vor und die Unterschrift des Erblassers auf der Testamentskopie stimmte mit der in verschiedenen Krankenhausunterlage überein. Angabe von Ort und Tag der Testamentserrichtung sind höchst sinnvoll, aber vom Gesetz nicht zwingend vorgeschrieben. Das Testament von Januar 1978 ist rechtlich als Erbeinsetzung und nicht (nur) als Vermächtnisanordnung zu werten.

Der Erblasser hat seiner Schwester und seinen Großnichten einen wesentlichen Teil seines Vermögens, nämlich wirtschaftlich gesehen die Hälfte zugewandt. Zusammen mit dem Wunsch des Erblassers, dass sich Schwester und Großnichten um sein elterliches Grab kümmern sollen, spricht dies für eine Erbeinsetzung, also die volle Rechtsnachfolge nach dem Verstorbenen und nicht für einen bloß schuldrechtlichen Verschaffungsanspruch (Vermächtnis) bezüglich des Grundstücks gegen Witwe und Sohn. Die “neue³ Erbengemeinschaft, teils auf gesetzlicher, teils auf testamentarischer Erbfolge beruhend, sieht also so aus: Erben sind die Witwe zu 1/4, der Sohn zu 1/4, die Schwester 1/8, die drei Großnichten zu je 1/8,

Da der Vater der Antragstellerin, der das Testament seinerzeit fotokopiert hatte, war der irrigen Meinung gewesen, ein Testament sei nur mit Ort- und Datumsangabe gültig, wurde die Sache erst jetzt ausgetragen. In seinem Irrtum befangen, hatte er sich 1978 erst gar nicht ans Nachlassgericht gewandt. Aber eine seiner Töchter, damals ein kleines Mädchen, hatte die Erzählung im Familienkreis vom "Beinahe-Testament" und dem leider doch nicht geerbten Grundstück in Erinnerung behalten.

Das kleine Mädchen wuchs zur jungen Frau heran und studierte Jura. So zahlte sich aufmerksames Hören der Erbrechtsvorlesung und die Erinnerung an die Erzählung im Familienkreis bei der inzwischen frisch gebackenen Rechtsanwältin nicht nur für den Examenserfolg, sondern gleich für die eigene Tasche aus.

Artikel vom 28.12.2000
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