Mobbing an Schulen: Kreisjugendamt schlägt Alarm

München - Gnadenloser Schulalltag

„Du bist anders? Hast billige Klamotten? Du Asso!“ Wegen Geld, Klamotten oder ihrem Aussehen stehen viele Münchner Schüler im Abseits. Die Behörden winken ab: Solche „Flegeleien“ hätte es schon in den 50er Jahren gegeben. Foto: Archiv

„Du bist anders? Hast billige Klamotten? Du Asso!“ Wegen Geld, Klamotten oder ihrem Aussehen stehen viele Münchner Schüler im Abseits. Die Behörden winken ab: Solche „Flegeleien“ hätte es schon in den 50er Jahren gegeben. Foto: Archiv

Schutzgeld, Prügel, Psychoterror. Was nach Mafia klingt, passiert auch an Münchner Schulen. Aber es scheint, dass keiner das immer weiter um sich greifende Mobbing wahr haben will. „Rufen Sie in zwei Wochen wieder an“, heißt es auf Anfrage des „SamstagsBlatts“ harsch aus dem Münchner Schulreferat. Die zuständige Sachbearbeiterin sei derzeit erkrankt, eine Vertretung stehe nicht zur Verfügung.

Im Luisengymnasium wird man zum gleichen Thema mit der Bemerkung vertröstet, dass die Schulpsychologin zu viel zu tun hat und deswegen nicht zu sprechen ist. Und überhaupt: Man müsse nicht alle Flegeleien gleich als Mobbing bezeichnen.

Es scheint, als fühlt sich niemand wirklich für das Problem Mobbing verantwortlich. Kein Wunder, denn was hinter den verschlossenen Türen von überforderten Schulpsychologen und Rektoren alles ans Licht gelangt, ist wenig erfreulich und könnte Eltern Anlass zu größter Sorge geben.

Das ist zumindest die Einschätzung von Thomas Krug, dem Jugendbeauftragten des Landratsamtes München-Land. Bereits 1998 hat er einen Dokufilm mit dem Titel „Gewalt? Ohne mich!“ über das Phänomen an bayerischen Schulen gedreht und darin Formen der Prävention aufgezeigt. Krugs ernüchterndes Fazit: „Inzwischen ist Mobbing zu einem Alltagsphänomen geworden. Es gibt keine Klasse, in der nicht jemand davon betroffen ist.“ Schlimm genug sind die Formen körperlicher Attacken, die vor allem in Hauptschulen ausgetragen werden. An die scheint sich die Öffentlichkeit jedoch längst gewöhnt zu haben.

Hauptschule – das ist in den Augen vieler die Peripherie des Bildungswesens, der vorgezeichnete soziale Abstieg und damit sozusagen eine Art legale Kaderschmiede künftiger Underdogs unserer Gesellschaft. Es gibt aber auch eine weniger sichtbare, versteckte und deswegen besonders heimtückische Form des Mobbings, die vor allem an den Münchner Eliteschmieden, den Gymnasien, praktiziert wird. „Die Welt hier ist genauso gnadenlos, nur eben mit anderen Methoden“, schildert Krug.

Die Mechanismen: Ausgrenzung über die Symbole der Wohlstandsgesellschaft – Geld, Kleider, materieller Reichtum. Das Ziel: Die Opfer, die sich durch fehlende Zeichen dieser Machtinsignien outen, sollen in die Isolation getrieben werden. Da ist der Bogenhausener Junge – nennen wir ihn Markus – in der Pausenhalle, dem man nicht verzeiht, dass seine Eltern ihn nicht mit Lacoste und Versace ausgestattet haben, sondern deren Geldbeutel nur für einen wenig adretten Parka aus dem Secondhandladen reichte. „Assel“, „Asso“ oder „Penner“ sind die Spitznamen für solch einen Schüler. Aber es geht auch handfest zur Sache: In einer unbeachteten Minute wird Markus von den „Stärkeren“ gepackt und vom dritten Stock unter Gelächter kopfüber aus dem Fenster gehängt. Da ist Lisa, ein zehnjähriges Mädchen in einer Schwabinger Grundschule, das keinen 20 Euro-Schein aus seinem Portemonnaie zücken kann, um den Schokoriegel am Imbiss-Stand zu bezahlen. Begüterte Mitschülerinnen quittieren diesen Frevel mit einem lauten Lachen.

Neben der Gewalt ist es dieser Psychoterror, der Krug zufolge besonders gnadenlos im reichen Bayern praktiziert wird, dem Land, an dem die Schüler laut Pisa-Studie schlauer sind als anderswo. Doch das Übel greift in ganz Deutschland um sich. Nach einer von der Ludwig-Maximilians-Universität vorgenommenen Studie muss eines von 25 Schulkindern wöchentlich Attacken und Prügel über sich ergehen lassen. Bei insgesamt rund zehn Millionen Schülern sind das 500.000 Mobbing-Opfer, so die Entwicklungspsychologin Mechthild Schäfer. Da hören sich die wenigen Stellungnahmen, die aus dem Luisengymnasium zu erfahren sind, wie eine Farce an: Das Problem werde überschätzt, der Begriff „Mobbing“ werde für alles und jedes verwendet, auch für ganz harmlose „Flegeleien“.

In den 50er Jahren sei das nicht anders gewesen, ist aus dem Rektorat zu erfahren. Ironische Note: Das Gymnasium befindet sich nahe des Hauptbahnhofs und damit mitten im Zentrum sozialer Brennpunkte in der Landeshauptstadt.

Krugs Einschätzung hört sich anders an: Als „kaltes Herz“ bezeichnet er die in Münchner Schulen und im bayerischen Umland um sich greifende mangelnde Sensibilität der Schüler. „Die Menschen haben kein Mitleid mehr. Das ist das Bedrohliche.“ Mit verantwortlich dafür macht er den grassierenden Materialismus und eine Gesellschaft, die die vom Staat gepflegten Ideale blindlings übernimmt. „Kind und Karriere“: Diese wohlfeile Formel postmodernen Selbstverständnisses kann Wohlstand bedeuten, viel Raum für die eigene Selbstverwirklichung – aber auch „abgehängte“ Kinder, die bereits im Krippenalter lernen, starke Ellenbogen zu entwickeln.

Opfer werden dann irgendwann die Schwächeren sein. Um dem Übel zu begegnen, rät Krug zu einer Null-Toleranz-Strategie: „Schulen müssen deutlich machen, dass Mobbing bei ihnen nicht erwünscht ist und bestraft wird. Das kann auch durch sichtbare äußere Zeichen wie Transparente geschehen.“ Die Täter sollten dazu verpflichtet werden, die Folgen ihres Tuns am eigenen Leib zu spüren. Etwa indem sie soziale Dienste in einem Alten- oder Behindertenheim leisten. Dann würden sie lernen, die Welt einmal aus der Perspektive des Schwächeren zu sehen. Auch die Einführung von Schuluniformen hält der Jugendbeauftragte für sinnvoll. Wenn Kleider Macht und Gewalt bedeuten, dann müssten Machtgelüste eben dadurch in die Schranken gewiesen werden, dass man soziale Statusmarkierungen aufhebt. Auch wenn das im freiheitsliebenden Deutschland wenig populär und so gut wie undenkbar ist. Von Rafael Sala

Du wirst gemobbt?

Du bekommst jeden Tag einen harten Ellbogencheck? Dein Pausenbrot landet dauernd im Dreck? Und immer bist Du es, der gehänselt wird? Oder so geht es Deinem Mitschüler und Du weißt nicht, wie Du reagieren sollst? Schreib uns Deine Erfahrungen und Gedanken zum Thema Mobbing und Gewalt an der Schule. Und natürlich interessieren uns auch Meinungen, Erfahrungen von Eltern und Lehrern. Wir bitten für Rückfragen um Angabe der Telefonnummer und weisen zugleich ausdrücklich darauf hin, dass keine Inhalte ungefragt veröffentlicht werden.

redaktion@wochenanzeiger.de Betreff: Mobbing

Münchner Wochenanzeiger, Redaktion / Stichwort: Mobbing Moosacher Straße 56 B / 1. Stock, 80809 München, Fax: 0 89 / 31 21 48 41

Artikel vom 16.03.2006
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