Ausstellung über die 50-jährige Italiensehnsucht der Deutschen und die italienische Einwanderung

München - Zwischen Zitronen und Kartoffeln

Sie verursachten das Italien-Fieber: Die Menschen, die 1955 in München eingewandert sind.
	Fotos von ihnen sind derzeit in der Pasinger Fabrik zu sehen.

Sie verursachten das Italien-Fieber: Die Menschen, die 1955 in München eingewandert sind. Fotos von ihnen sind derzeit in der Pasinger Fabrik zu sehen.

Die Züge, die im Januar 1956 rumpelnd und ächzend am Gleis elf des Münchner Hauptbahnhofes einfuhren, brachten eine recht fremde und ungewöhnliche Fracht nach Deutschland: Aus den Zügen stiegen Menschen, in ihre besten Sonntagsanzüge gekleidet und doch ausgemergelt und mit dunklen Schatten im Gesicht vom tagelangen Rasur-Entzug.

Aus diesen Zügen stiegen Menschen, die ihre wenigen Habseligkeiten in Pappkartons dabei hatten, und doch waren sie in den Augen der sie empfangenden Deutschen nur wenig mehr als Fracht.

Am 20. Dezember unterzeichneten die Bundesrepublik Deutschland und Italien das so genannte Anwerbeabkommen. Die junge und aufstrebende Republik brauchte Arbeitskräfte, um das Wirtschaftswunder weiter anzukurbeln, und in Italien war man froh, wenigstens einige der unzähligen Arbeitslosen im Süden des Landes in Lohn und Brot bringen zu können. In einem Bunker direkt am Gleis elf, an dem auch heute noch die meisten Züge aus Italien ankommen, wurden diese Gastarbeiter empfangen, registriert und entweder gleich an Ort und Stelle von ihren künftigen Arbeitgebern in Empfang genommen oder eben in den nächsten Zug gesteckt, der sie in alle Teile der Republik bringen sollte.

Die Deutschen erwarteten Gastarbeiter, die in ihren Fabriken arbeiten sollten und in Baracken untergebracht wurden. Deutsche und Italiener (und später auch Deutsche und Türken, Jugoslawen, Griechen oder Spanier) waren zunächst nichts mehr als eine Zweckgemeinschaft. Die Gastarbeiter arbeiteten in den deutschen Fabriken und verdienten dort ihr Geld, wovon sie jeden Monat das meiste brav nach Hause zur Familie in den Süden schickten.

Doch schon bald wurde klar: Die Leute, die aus diesen Zügen gestiegen waren, waren tatsächlich mehr als nur Arbeitskräfte. Es waren vielmehr Menschen, die die kargen Äcker der Basilicata, die rötlich schimmernden Böden der Olivenhaine Apuliens oder das Chaos in den engen Gassen Neapels mit einer Mischung aus Wehmut und Zukunftsoptimismus verlassen hatten. Menschen, die oft „hundert Jahre an einem einzigen Tag übersprangen“, wie es der italienische Liedermacher Luigi Tenco in den sechziger Jahren treffend formulierte. Und nicht zuletzt Menschen, die auch das Leben der Einheimischen durch ihre Speisen, Tänze oder Umgangsformen bereicherten.

Zur gleichen Zeit wie die Gastarbeiter ihr Leben in der deutschen Emigration begannen, wurde im Wirtschaftswunderland Deutschland so etwas wie eine neue Italiensehnsucht geweckt, wie man sie seit Goethes Zeiten nicht mehr erlebt hatte. Jahr für Jahr überquerten fortan hunderttausende VW Käfer den Brenner, Jahr für Jahr machten Millionen Deutsche Urlaub an den italienischen Stränden. Deutsche, die, wieder zurück in der Heimat, dort nur zu gerne die Gaststätten der italienischen Freunde besuchten, um auch zu Hause noch einen Hauch Urlaub zu verspüren.

Heute, 50 Jahre später, gelten Italiener in München nicht mehr als Gastarbeiter, sondern werden – politisch auch nicht unbedingt korrekter – als ausländische Mitbürger bezeichnet; Integration ist längst kein Fremdwort mehr. Dennoch: Die Beziehung zwischen den 23.000 italienischen Münchnern und den deutschen Münchnern ist immer noch eine Besondere. Obwohl die Italiener, was die Schulbildung betrifft, die ausländische Bevölkerungsgruppe mit den größten Integrationsproblemen ist, gelten sie auch als die beliebteste und gemeinhin am besten integrierte Gruppe.

Für das Kulturreferat in München ist das 50-jährige Jubiläum des ersten Anwerbeabkommens Anlass genug, die nächsten vier Wochen italienische Wochen in München einzuläuten. Seit Donnerstag ist in der Pasinger Fabrik die Wanderausstellung „Neapel-Bochum-Rimini – italienische Zuwanderung und deutsche Italiensehnsucht“ zu Gast. Die vom westfälischen Industriemuseum Dortmund konzipierte Ausstellung tourte zuletzt erfolgreich durch Italien und wird in der Stadt, in der alles begann, nun ihre letzte Station finden. „Die Ausstellung richtet sich an Deutsche und Italiener gleichermaßen. Sie wurde zwar in NRW konzipiert, ist aber auf die Situation in München übertragbar“, erklärt Benno Zimmermann vom Kulturreferat. Die Bilder-Ausstellung ist bis 2. April jeweils von Dienstag bis Sonntag von 14 bis 20 Uhr geöffnet. Umrahmt wird das Ganze von einem Kulturprogramm (auch in der Pasinger Fabrik), in dem verschiedene Sänger und Kabarettisten lebendiges Zeugnis ihres ganz persönlichen Italien-Deutschland-Bildes geben werden.

Weitere Informationen dazu gibt es unter der Nummer 82 92 90 79. Im Filmmuseum werden außerdem während der Ausstellungsdauer vier Filme passend zum Thema gezeigt. Weitere Informationen hierfür unter Telefon 23 32 41 50. Von Filippo Cataldo

Artikel vom 09.03.2006
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