Kritik an der Kameraüberwachung des Weihnachtsmarktes auf dem Marienplatz

München - Big Brother fürs Christkindl

„Die Sicherheit der Bürger lässt sich nicht in Euro und Cent beziffern“: Die Polizei verteidigt ihre Überwachungs-Kameras. 	Foto: maho

„Die Sicherheit der Bürger lässt sich nicht in Euro und Cent beziffern“: Die Polizei verteidigt ihre Überwachungs-Kameras. Foto: maho

München - Für die einen ist es ein Mehr an Sicherheit, für die anderen der Weg in den Orwell-Staat: An der Videoüberwachung öffentlicher Plätze scheiden sich seit langem die Geister. In München ist die Diskussion nun aufs Neue entbrannt: Anlass ist die in diesem Jahr eingeführte Videoüberwachung des Christkindlmarktes am Marienplatz. Während die Polizei erfreut sinkende Diebstahlraten registriert, wittern Kritiker wie der Grünen-Stadtrat Siegfried Benker den nächsten Schritt in Richtung Dauerüberwachung der Innenstadt.

Dass Big Brother ausgerechnet jetzt über den Christkindlmarkt wacht, kommt überraschend: In der jüngeren Vergangenheit ist die Diebstahlrate dort nicht gestiegen – im Gegenteil: In den vergangenen sechs Jahren ist sie von 343 auf 147 Fälle gesunken. „Zu viel ist uns das immer noch“, sagt Kriminalhauptkommissar Stefan Schraut: „Wir haben es hier mit Profis zu tun, die sich ihr Weihnachtsgeld abgreifen wollen.“

Insgesamt neun hochmoderne Kameras sollen die Langfinger nun davon abhalten. Die Überwacher sind um 360 Grad drehbar und können sogar kleinste Details heranzoomen. Die Bilder werden in eine Schaltzentrale unterhalb des Marienplatzes übertragen, wo zwei Polizeibeamte das Geschehen im Blick behalten, um die Kollegen an der Oberfläche schnell zu alarmieren.

Schraut verweist hierbei auf die guten Erfahrungen beim Oktoberfest: Dort gibt es die Videoüberwachung bereits seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001. „Die Kameras schrecken ab“, erklärt Schraut, „außerdem lassen sich die Einsatzkräfte dank der Kameras viel effektiver koordinieren.“

Dass die Überwachung nicht ganz billig ist, räumt der Kriminalhauptkommissar ein. Auf eine Kosten-Nutzen-Rechnung mag er sich jedoch nicht einlassen: „Die Sicherheit der Bürger lässt sich nicht in Euro und Cent beziffern.“ Lieber verweist er auf die Anzahl der Diebstähle. In der inoffiziellen Halbzeitbilanz des Christkindlmarkts habe sich diese im Vergleich zum Vorjahr noch einmal fast halbiert. „Auch die Resonanz der Bürger ist ausschließlich positiv“, berichtet Schraut, „von den Datenschützern gab es ebenfalls keine Einwände.“

Keine grundsätzlichen zumindest – im Detail allerdings hält Karlheinz Worzfeld, Vertreter des gerade pensionierten bayerischen Datenschutzbeauftragten Ernst Vetter, das Überwachungskonzept des Christkindlmarktes für verbesserungswürdig. Worzfeld stört sich vor allem daran, dass der Normalbürger kaum merkt, dass er sich ins Blickfeld der Kamera begibt – was der Gesetzgeber jedoch explizit verlangt. „Die Hinweise auf die Überwachung sind nur auf ein paar Buden angebracht, das muss beim nächsten Mal besser werden“, nimmt der Datenschützer die Polizei ins Gebet. Auch darüber, wie lange die aufgezeichneten Daten gespeichert werden, „unterhalten wir uns noch“. Nach spätestens zwei Monaten ist die Polizei verpflichtet, sie zu löschen, „man muss sehen, wie lange die Daten in diesem Fall hier konkret aufbewahrt werden müssen“.

Die Datenspeicherung ist ein Punkt, den auch Benker von den Grünen kritisiert – seiner Ansicht nach entwickeln aufgezeichnete Daten rasch ein Eigenleben. „Wenn man zufällig mit auf dem Bild ist, wenn irgendwas passiert, ist man schnell in den Unterlagen mehrerer Behörden, ohne es zu wissen.“ Überhaupt bezweifelt Benker, dass die Kameras am Christkindlmarkt den Bürgern mehr Sicherheit bringen. Er befürchtet vielmehr, dass die Langfinger dann eben auf weniger gut bewachte Plätze ausweichen. „Bei dem Gedränge in den Fußgängerzonen sind die Diebe sicher nicht auf den Christkindlmarkt angewiesen.“

Sorgen bereiten Benker außerdem die Kollisionen von Videoüberwachung und Demonstrationen. Auf dem Christkindlmarkt wird es hierzu zwar nicht kommen, wohl allerdings an anderen Orten: „Auf dem Stachus gab es schon mehrere Kundgebungen, bei denen die dortigen Kameras nicht abgeschaltet wurden.“ Schraut argumentiert, dass dies legitim sei, so lange nur in einer Übersichtsperspektive gefilmt werde, ohne an die Gesichter der Demonstranten heranzuzoomen. Das Stachus-Rondell wird übrigens ebenso wie der Hauptbahnhof seit Mai 2004 mit Videokameras überwacht. Der nächste Schritt in diese Richtung wird im kommenden Jahr bei der Fußball-WM gegangen: Aller Voraussicht nach werden dann der Marienplatz und auch der Marienhof ins Visier der Kameras geraten: „An solch zentralen Orten muss man potenzielle Hooligans im Auge behalten“, so Schraut.

Zwischen Weihnachten und Weltmeisterschaft werden die Kameras am Marienplatz allerdings abgehängt. Die Münchner Polizei bleibt also bei ihrem Credo, sie nur dort einzusetzen, wo die Kriminalität besonders hoch ist.

Eine flächendeckende Überwachung der Innenstadt à la London würde in München schon am lieben Geld scheitern: „Dort wird das alles von privaten Sicherheitsfirmen finanziert und kontrolliert“, erklärt Schraut: „Ein solcher Geldgeber ist hierzulande gar nicht in Sicht – ganz abgesehen davon, dass wir das so auch gar nicht wollen.“

Eine Überwachung weiterer Orte sei momentan nicht geplant, versichert Schraut – wenn auch mit einer Einschränkung: „Es kann natürlich immer passieren, dass sich die Sicherheitslage einmal ändert.“ Von Martin Hoffmann

Artikel vom 15.12.2005
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