„Lichtverschmutzung“ vernebelt Münchens Nachthimmel

München · Sag mir, wo die Sterne sind...

Selbst aus dem Weltall macht sich der Mensch bemerkbar. Durch die vielen Straßenlaternen, Skybeamer und Hausfenster. 	Simulation: NASA

Selbst aus dem Weltall macht sich der Mensch bemerkbar. Durch die vielen Straßenlaternen, Skybeamer und Hausfenster. Simulation: NASA

München · Als Schriftsteller Thomas Mann seinerzeit feststellte, dass „München leuchtet“ – da hat er bestimmt nicht daran gedacht, dass zu viel des Lichts den Großstädtern einige Jahrzehnte später den Schlaf rauben könnte. Doch es ist noch schlimmer gekommen inzwischen. Der Bund Naturschutz klassifiziert „Lichtverschmutzung“ als eine neue Form der Umweltverschmutzung – vielleicht sogar mit gravierenden Folgen für Mensch und Tier.

Grell blinkende Werbetafeln, bestrahlte Kirchtürme, Skybeamer, die 100.000 Laternen in der Stadt – und alles, was sonst noch so blinkt und leuchtet und blitzt, trägt dazu bei, in München die Nacht zum Tage zu machen. Die „helle Not“ jedenfalls nimmt in Deutschland pro Jahr um sechs Prozent zu, wie das bayerische Landesamt für Umwelt herausgefunden hat. Zahlen des Münchner Umweltreferats scheinen das zu bestätigen: „Vor fünf Jahren haben sich pro Jahr etwa zwei oder drei Menschen beschwert, weil ihnen Leuchtreklame aus Nachbargebäuden ins Schlafzimmer schienen“, weiß Rudolf Wieringer, Licht- und Lärmschutzbeauftragter der Stadt. „Inzwischen wenden sich etwa 20 Menschen an uns.“

Ob und wie sich das Kunstlicht auf die Gesundheit der Menschen auswirkt – darüber streiten sich die Wissenschaftler. Anna Wirz-Justice beispielsweise, Leiterin der Abteilung Chronobiologie an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Basel, ist überzeugt: „Der heutige Mensch hat am Tag zu wenig, in der Nacht zu viel Licht.” Dadurch werde der Rhythmus von Schlaf- und Wachphasen gestört. Die Folgen seien ähnlich wie bei einem Jetlag: Der Mensch komme nicht richtig zur Ruhe, leide gelegentlich unter Kopfschmerz, habe Schlafprobleme.

Sybille Winkel, Biologin beim Naturschutzbund „Nabu“, beklagt, dass viele Tiere durch das künstliche Licht verwirrt würden: „Insekten schwirren um die Lichtquelle, bis sie erschöpft zu Boden fallen“, weiß sie. „Bei Zugvögeln ist das ähnlich. Licht wirkt wie ein gefährlicher Staubsauger.“ Dass die Kunstlichter in der Stadt eher ein „optisches Problem“ seien, glaubt dagegen der städtische Lichtbeauftragte Wieringer: „Ältere Leute erschrecken oft, wenn sie Lichter am Himmel sehen: Es erinnert sie an den Krieg. Und Jüngere würden gerne in die Sterne schauen“. In Wohn- und Schlafzimmer verirren sich dagegen vor allem die Farbspiele bunt leuchtender Reklametafeln, sagt Wieringer. Jeder Beschwerde, die diesbezüglich auf seinem Schreibtisch landet, geht er jedenfalls in seinen Abendschichten nach: Sein hochempfindlicher Beleuchtungsstärkemesser zeigt schließlich erst nachts, wie viel künstliches Licht im Dunkeln durch die Fenster fällt. „Wenn wir feststellen, dass die Zimmer mit mehr als einem Lux beleuchtet sind, muss der Verursacher seine Leuchtanlage abstellen.“

Dass Anlagen allerdings ganz ausgeschaltet werden – das könnten Anwohner nur schwerlich durchsetzen: Gebäudebeleuchtungen brauchen keine Genehmigung. Ein Riegel kann nur vorgeschoben werden, wenn das „Verunstaltungsverbot“, das im Baurecht verankert ist, ignoriert wird – oder wenn die Beleuchtung eine reine Werbemaßnahme sei. Skybeamer von Diskotheken allerdings dürfen in München nur im Rahmen von Einzelveranstaltungen eingesetzt werden und nicht als Dauerbeleuchtung dienen.

Trotzdem: Was zu viel ist, ist zu viel. Der Universitätssternwarte ist es jedenfalls nicht mehr möglich, wissenschaftliche Untersuchungen von Bogenhausen aus zu machen: „Wir sind hierfür ins Wendelsteingebiet gezogen“, sagt Astrophysiker Heitsch. Und selbst dort müsse man aufpassen, dass der Sternenhimmel keinen Skybeamern weichen muss: „Es gab Überlegungen, hier Nachtskigebiete auszuweisen. Wir werden natürlich alles unternehmen, um das zu verhindern.“ In Augsburg übrigens werden Forderungen von Sternenguckern sehr ernst genommen. Was angesichts knapper Kassen in München undenkbar scheint, führt unsere Nachbarstadt seit Jahren durch: Stück für Stück werden die 25.000 Straßenleuchten der Stadt durch teure Natriumhochdrucklampen ersetzt. Diese leuchten gelb statt weiß – was die Astronomen leichter mit ihren Teleskopen herausfiltern können und nicht zuletzt stören sich Insekten weniger an diesem Licht.

Und noch mehr: In Sommernächten leuchtet in vielen Augsburger Straßen nur eine von zwei Lampen. Die Lampen sind so ausgerichtet, dass das Licht auf den Boden und nicht gen Himmel fällt. Dimmer reduzieren die Lichtmenge obendrein in verkehrsarmen Zeiten. Ein weiteres Resultat: Augsburg spart durch diese Maßnahme rund 250.000 Euro Stromkosten pro Jahr. „Vielleicht sollte man aber in dieser Frage den Sicherheitsaspekt nicht außer acht lassen, vielleicht lebt man sicherer, wenn es heller ist“, gibt Astrophysiker Heitsch selbstkritisch zu bedenken. Vielleicht sollte man sich aber auch über einen Himmel voller Sterne freuen, vielleicht lebt man romantischer, wenn es dunkler ist. Von Nadine Nöhmaier

Artikel vom 24.11.2005
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...