Jeder vierte Münchner hat keinen deutschen Pass. Wie steht es in unserer Stadt um die Ausländer?

München - „Paris ist eine Warnung“

Ausländerbeirat Cumali Naz: „Es geht darum, allen Migranten eine Zukunft zu bieten“. Foto: ABR

Ausländerbeirat Cumali Naz: „Es geht darum, allen Migranten eine Zukunft zu bieten“. Foto: ABR

Randalierende Jugendliche, brennende Autos, erste Tote – allen Polizeimaßnamen und Ausgangsperren zum Trotz sorgen Jugendliche in französischen Vorstädten seit mehr als drei Wochen Nacht für Nacht für bürgerkriegsähnliche Zustände. Könnten uns ähnliche Krawalle in München drohen? „Ausschließen kann man das nicht“, sagt Cumali Naz, Vorsitzender des Ausländerbeirats der Stadt.

„Allerdings sind die Verhältnisse hier bei weitem nicht so besorgniserregend wie in Frankreich. Wir sollten aber die Ereignisse dort in jedem Fall als Warnung verstehen.“

Wenn man den hier lebenden Migranten keine Zukunftsperspektive biete, könnten letztendlich Aggression und Wut entstehen. Alarmierend sei zumindest, dass die Arbeitslosigkeit unter jungen Ausländern auch in München relativ hoch sei: Insgesamt sind in der bayerischen Landeshauptstadt 5.918 Jugendliche unter 25 Jahren arbeitslos (Stand: Ende Oktober). 41 Prozent davon sind ausländische Jugendliche – obwohl nur jeder knapp vierte Münchner Ausländer ist. Naz folgert: „Diese Zahlen deuten darauf hin, dass das hiesige Schulsystem Migranten benachteiligt.“ Die Schulen sollten möglichst früh beginnen, ausländische Kinder zu fördern, fordert er – „auch und vor allem gemäß ihrer speziellen Fähigkeiten. Beispielsweise sollten sie Mehrsprachigkeit als Kompetenz anerkennen.“ Wenn Lehrer und Schulen dagegen nicht intensiv auf die Schüler eingingen, könnten sie oft nicht einmal die Hauptschule abschließen – und hätten damit wenig Chancen auf einen Ausbildungsplatz.

Eva-Maria Volland, Sprecherin des Schulreferats, betont, dass Migrantenkinder in München bereits vor der Regelschulzeit in Kindergarten und Hort gefördert werden: „In den rund 400 städtischen Kindertageseinrichtungen arbeiten 200 mehrsprachige Erzieherinnen, die den Kindern die deutsche Sprache näher bringen. Außerdem sind 50 interkulturelle Pädagogen angestellt, die nicht nur um gegenseitige Verständigung, sondern auch um Verständnis werben.“ Die Kinder würden beispielsweise lernen, dass es kulturelle Unterschiede gibt, die man tolerieren muss. Sie würden aber auch begreifen, „welche Erwartungen die deutsche Kultur hat und wie sie sich einfügen können, ohne sich zu verbiegen“. Das Zauberwort heißt demnach: Integration. „Egal, welche Herkunft die Kinder haben: wir müssen ihnen das Gefühl geben, dass sie zu unserer Gesellschaft gehören“, definiert Naz dieses sperrige Wort.

Vor zwanzig Jahren, als Franz Josef Strauß bayerischer Ministerpräsident war, hätte man sich dagegen nicht einmal bemüht, Gastarbeiterkinder einzugliedern, erinnert sich Münchens zweite Bürgermeisterin Gertraud Burkert (SPD): „Damals gab es beispielsweise Klassen, in denen nur türkische Schüler saßen, die ausschließlich auf türkisch unterrichtet wurden. Deutsch war maximal ein Nebenfach.“

Man sei damals davon ausgegangen, dass die Kinder mit ihren Familien in zwei, drei Jahren wieder in ihre Heimat zurückkehren würden – und es daher nicht nötig sei, ihnen Deutsch beizubringen. Es kam aber anders: „Viele der Familien blieben“, so Burkert. „Und wurden niemals richtig integriert.“ Derartige Ausländerklassen gebe es folglich heutzutage nicht mehr.

Aber nicht nur in der Schule hat man dazu gelernt. Auch in der Freizeit bemüht sich die Stadt um interkulturelle Betreuung. Die Kinder- und Jugendeinrichtungen des Kreisjungendrings beispielsweise leisten Jugendarbeit für Deutsche wie Ausländer, und im Rahmen von städtischen Projekten wie dem Konfliktmanagement bei interkulturellen Konflikten (KIK) lösen ausgebildete Streitschlichter Konflikte in Nachbarschaft und Schule.

Ein weiterer Punkt, in dem sich die Münchner Verhältnisse von denen in Paris unterscheiden, ist die soziale Wohnungspolitik der Stadt: „In München wird darauf geachtet, dass sich keine Ghettos bilden“, sagt CSU-Stadtrat Hans Wolfswinkler. In jedem Viertel, egal ob Giesing oder Nymphenburg, werden beispielsweise Sozialwohnungen gebaut. Eine Politik, die Ausländer in höherem Maße betrifft, als Bürger mit deutschem Pass: Ausländische Jugendliche finden nicht nur schwerer einen Arbeitsplatz, ausländische Familien sind deshalb auch eher von Sozialleistungen abhängig.

Ein Stadtratsbeschluss geht auf diese Problematik ein und gibt eine Quote vor: So soll der Anteil von Ausländern in Sozialwohnungen nicht höher sein als der Ausländeranteil im zugehörigen Stadtviertel. „Allerdings wird diese Regelung aufgrund des Punktesystems, nach dem die Wohnungen vergeben werden, selten penibel beachtet“, klagt Wolfswinkler. „Und daher ist diese Vergabepraxis meiner Meinung nach für eine gesunde Wohnstruktur auch nicht geeignet; ich fordere, dass auch untere Lohngruppen berechtigt sind, Sozialwohnungen zu beziehen, Postboten beispielsweise.“ In den Augen des CSU-Stadtrats würde dadurch „das Niveau der Häuser“ gehoben.

Einen Unterschied zu den Pariser Vororten sieht Wolfswinkler auch in der Herkunft der hiesigen Migranten: „Dort sind viele Nordafrikaner“, sagt er. „Bei uns auf der Schwanthaler Höhe beispielsweise leben viele Ausländer unterschiedlichster Herkunft und Nationalität. Die werden nicht strategisch an einem Strang ziehen, um zu randalieren – sie werden sich untereinander nicht einig.“

Für Naz vom Ausländerbeirat ist das eine eigentümliche ausländerpolitische Haltung: „Es geht um Prävention, es geht darum, allen Migranten eine Zukunft zu bieten – und nicht um Spekulationen, warum gewisse Gruppen nicht randalieren.“ Von Nadine Nöhmaier

Artikel vom 17.11.2005
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