Die Stadt stellt ihre Rechner nicht vor Januar von „Windows“ auf „Linux“ um

München - Ein Pinguin auf Abwegen

Das Europäische Parlament unter dem Vorsitz des Spaniers Josep Fontelles hat eine EU-Richtlinie zu Softwarepatenten gestoppt, die der Europäische Ministerrat einführen wollte. Hätten sich die Minister durchgesetzt, wäre ein Linux-Einsatz in München riskan

Das Europäische Parlament unter dem Vorsitz des Spaniers Josep Fontelles hat eine EU-Richtlinie zu Softwarepatenten gestoppt, die der Europäische Ministerrat einführen wollte. Hätten sich die Minister durchgesetzt, wäre ein Linux-Einsatz in München riskan

Den Spott muss sich die Stadt vorläufig noch gefallen lassen: Beim „Linuxtag“ Ende Juni in Karlsruhe nuckelte Pinguin „Tux“, das Maskottchen des Betriebssystems „Linux“, an einer nahrhaften Windows-Getränkepackung. Die mit großem Getöse angekündigte Umstellung der Stadtverwaltungsrechner vom bisherigen Micorosoft-Betriebssystem „Windows“ auf „Linux“ lässt nämlich schon eine ganze Weile auf sich warten.

Und dass obwohl extra für die Stadt eine eigene Variante programmiert wurde: „LiMux“. „Im Moment liegen wir vier bis fünf Monate hinter dem ursprünglichen Zeitplan“, verrät Stadträtin Christine Strobl (SPD). Die Planung gestalte sich schwieriger als angenommen, die Strukturen seien komplexer als erwartet. „Zu jeder größeren Entscheidung müssten 17 verschiedene städtische IT-Bereiche nicken“, fügt „LiMux-Sprecher“ Florian Schießl hinzu.

Dennoch: Bei der Computermesse „Systems“ Ende Oktober werde die Stadt der Öffentlichkeit erste konkrete Lösungen vorstellen. Im Januar laufen erste Pilotprojekte an, Mitte 2006 werden die ersten städtischen Rechner von Windows Abschied nehmen, ab 2008 wird „Windows“ endgültig nicht mehr in München fensterln.

Das könnte dann das Ende einer recht langen Geschichte sein. Den Anfang nahm jene im November 2001, als der Stadtrat erstmals laut über Alternativen zu „Windows“ nachgedacht hatte. „Dazu war die Stadt gezwungen, denn die Firma Microsoft hat den Vertrieb und Support des damals und derzeit noch immer verwendeten Betriebssystems „Windows NT 4.0“ eingestellt“, so Schießl. 2002 entstand eine Studie zum Thema – mit dem Fazit, es sei aus technischer und finanzieller Sicht sinnvoll, die Rechner mit Nachfolgeprodukten des Software-Konzerns Microsoft aufzurüsten.

Und auch der Microsoft-Chef Steve Ballmer persönlich war bei Oberbürgermeister Christian Ude vorstellig geworden, so sehr fürchtete der Software-Konzern eine Signalwirkung durch den Wechsel. Dennoch stimmte der Stadtrat am 28. Mai 2003 in einem Grundsatzbeschluss für die Umstellung der 14.000 städtischen Computer auf Open Source-Software. Am 16. Juni 2004 gab die Vollversammlung endgültig grünes Licht für das Konzept „LiMux“. „Damit sind wir unabhängiger von Herstellern, es wird mehr Wettbewerb im Software-Markt geben – das spart langfristig gesehen Kosten“, sagt Schießl. Computerexperten erklärten, dass die Entscheidung „europaweite Bedeutung“ habe.

Schließlich sei München die erste Millionenstadt, die auf ein - im Prinzip - kostenloses und frei zugängliches Computersystem umstellt. Kurzfristig gesehen kostet die Umstellung, im Fachjargon „Migration“ genannt, aber eine Stange Geld – in Summe 35 Millionen Euro. Den Löwenanteil – 38 Prozent – machen die Ausgaben für Schulungen aus, auch die Umstellung von Vorlagen und Formularen kostetet einige Millionen, schließlich bedeutet der Wechsel von „Windows“ auf „Linux“ auch einen Abschied von der Bürosoftware „MS Office“.

Europa spielt übrigens durchaus selbst eine Rolle bei der „Linux“-Einführung. Genauer gesagt die Europäische Union. Denn die EU-Justizminister und auch die Europäische Kommission drängten in den letzten Jahren auf eine Neufassung des europäischen Patentrechts, bei der auch kleine und eigentlich frei zugängliche Softwareteile geschützt werden könnten. „Das ist fast vergleichbar, wenn etwa das Rad patentiert wäre. Technische Entwicklung wäre dann faktisch nicht mehr möglich“, beschrieben Experten die Pläne. Statt freier, kostenloser Software, hätten nur noch Konzerne, wie eben Microsoft, die Macht und das Geld gehabt, bestehende Programme weiter zu entwickeln.

Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) fuhr beim Lesen des Horrorszenarios der Schreck derart in die Glieder, dass er die Umrüstung auf „Linux“ im letzten Sommer, wenn auch nur vorübergehend, stoppte. Ein Rechtsgutachten erklärte kurz später, dass „die rechtlichen Risiken für den Kern des ‚Linux’-Betriebs gering sind“ wie Wilhelm Hoegner, EDV-Leiter der Stadt, zusammenfasst.

Ude begann gegen die geplante Richtlinie zu kämpfen: Gemeinsam mit seinem Wiener Amtskollegen, der auch „Linux“ einführen wollte, erklärte er dem EU-Parlament seine Bedenken gegenüber dem drohenden Patentschutz. Der Protest – nicht nur von ihm – war erfolgreich: Vor drei Wochen hat das EU-Parlament unter Leitung ihres Präsidenten Josep Fontelles die Patentrichtlinie mit großer Mehrheit abgelehnt. „Lieber keine Richtlinie, als eine schlechte“, freut sich Schießl. „Ich hoffe, dass demnächst der nationale Gesetzgeber Klarheit ins Patentrecht bringt.“

Während München also in den letzten Monaten ein wenig ängstlich gezaudert hat bei der Umsetzung, haben andere Städte die Vorreiter-Stellung in Sachen „Linux“ übernommen: Im Herbst letzten Jahres beispielsweise stellte Schwäbisch Hall als erste deutsche Kommune komplett auf „Linux“ um, und auch in Wien haben die städtischen Angestellten seit vier Wochen die Wahl zwischen den Betriebssystemen „Windows“ und „Linux“. „Es ist sehr positiv, dass mehr und mehr Kommunen umsatteln“, kommentiert Schießl. „Dann sind die Fachhersteller unter Druck und müssen Software produzieren, die bislang nicht auf kommunalen ‚Linux’-Rechnern lief. Ich bin sicher: Der Markt wird über kurz oder lang reagieren – München hat hier eine Signalwirkung.“

Hier starten die Pilotprojekte aber erst Anfang nächsten Jahres, im April soll das Direktorium und das Kulturreferat komplett umgestellt sein, 2008 soll dann in allen Referaten „Linux“ laufen. Die Migration dauert auch so lange, weil jedes der zwölf Referate seine PCs selbst konfiguriert und häufig mit Spezialsoftware bestückt hatte, die erst für das neue System umprogrammiert werden müssen. Von Nadine Nöhmaier

Stichwort: „Linux“

„Linux“ ist ein Betriebssystem für diverse Computer und vor allem auch für den PC, der in den meisten Haushalten steht. Es wurde 1991 von dem damals 21-jährigen Linus Torvalds erfunden und wird seither von Programmierern auf der ganzen Welt weiterentwickelt.

Von Anfang an wurde „Linux“ unter die GPL, die General Public License, gestellt, die jedem Programmierer kostenlosen Zugang zum Quellcode ermöglicht. Auf diese Weise können schnell neue Funktionen hinzugefügt und Fehler beseitigt werden – viel eher als bei „Windows“, das den Anwender immer wieder mit Fehlermeldungen nervt.

Übrigens: Noch bis 12. August können Jugendliche und junge Erwachsene im Café Netzwerk in der Luisenstraße 11 jeweils von 11 bis 18 Uhr kostenlos unterschiedlichste GPL-Programme unter dem Motto „Open Source – umsonst und geil“ ausprobieren. Weitere Infos hierzu stehen unter www.cafe-netzwerk.de.

Artikel vom 04.08.2005
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