Albrecht Ackerland über Alternativen

München - "Da schau her"

Vor ein paar Tagen war meine Verwandte Renate zu Besuch in München. Renate ist die Tochter der Cousine einer meiner Tanten. Oder so ähnlich. Nennen wir Renate also meine Base – ein Begriff, der leider gerade ausstirbt, genauso wie „Renate“, eigentlich ein deutscher Klassiker der Namen für Friseurinnen, Sekretärinnen und Bundesverbraucherministerinnen.

Meine Renate wohnt in Salzburg und hat auch sonst nicht viel zu lachen. Deshalb wollte ich ihr, als sie in München war, ein wenig Aufheiterung gewähren. Unbedingt wollte sie zum „Tollwood“, soviel hätte sie schon davon gehört. Von wem oder wo, das konnte ich nicht erfahren. Ich mag das „Tollwood“ ungefähr so gern wie Salzburg. Trotzdem bin ich mit ihr dorthin. Und: musste mich sehr ärgern, was mich aber gar nicht wunderte, ich wusste schließlich, was mich erwartete.

Ich interessiere mich immer für sogenanntes „Alternatives“, ich kaufe auf dem Bio-Markt ein und benutze Klopapier aus Altpapier, obwohl es der Haut nicht sonderlich schmeichelt. Auf dem „Tollwood“ ist mir das eingefallen, denn mir kam dort alles wie überteuertes fünflagiges Toilettenseidenpapier vor, das grau gefärbt wurde und Sand enthält, damit es alternativ daherkommt und sich auch so anfühlt.

Das „Tollwood“ ist wie ein solches Klopapier. Und das „Tollwood“ ist wie Salzburg. Nicht ganz echt. Und teuer. Aber so was von teuer. Was das Publikum dort aber freut: Denn auf dem „Tollwood“ kann man zeigen, wie viel Geld man hat, wenn man sich einen Traumfänger von was-weiß-ich-woher für fünfzig Euro kauft und aus Jux noch ein Batik-Shirt mit Marihuanablatt, das man aber am nächsten Tag in den Müll gibt, weil es sogar für die Kleidersammlung zu hässlich ist. Es sind die Menschen, die Aktien halten an Ölkonzernen, die Ratzingers Bücher zu Bestsellern machen und politisch schwarz sehen, die aber manchmal Lust auf eine Brise Räucherstäbchengestank, bewusstes Lebensgefühl und Ausgeflipptsein haben.

Dann gehen sie zum „Tollwood“. Es sind womöglich die Menschen, die gegen eine Moschee in Sendling sind, weil für das Multikulti haben wir ja das „Tollwood“, und das muss reichen.

Das alles hab ich mir gedacht. Dann hab ich die Renate am Arm gepackt, bin mit ihr zum Bahnhofsviertel gefahren, hab ihr dort einen Döner gekauft und ihr gesagt, sie soll zum Oktoberfest wieder kommen. Als Alternative zu Salzburg.

Artikel vom 23.06.2005
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