15-jähriger Intensivtäter nutzt erlebniserzieherischen Ausflug zur Flucht

Unterschleißheim/ Olympiapark · Fragwürdige Pädagogik

»Dass da auch Autos dabei waren ist nicht auszuschließen«: 45 schwere Diebstähle hatte der 15-Jährige laut Polizeiangaben bereits auf dem Kerbholz. Erwischt wurde er wieder, als er in Bad Tölz verdächtig um ein Auto schlich. Foto: gf

»Dass da auch Autos dabei waren ist nicht auszuschließen«: 45 schwere Diebstähle hatte der 15-Jährige laut Polizeiangaben bereits auf dem Kerbholz. Erwischt wurde er wieder, als er in Bad Tölz verdächtig um ein Auto schlich. Foto: gf

Unterschleißheim/ Olympiapark · Das Olympiastadion ist voll und der designierte Absteiger VfL Bochum holt sich beim FC Bayern eine 3:1-Klatsche ab. Die Stimmung kocht, eine frühe Rote Karte für Bochums Rein van Duijnhoven in der 15. Minute sorgt für Diskussionsstoff, zur Pause führt der Meisterkandidat mit 2:0 an diesem Samstagnachmittag, 23. April.

Genau der richtige Ort für den 15-jährigen Benny G. (Name von der Redaktion geändert), um »Normalität im Alltag« kennenzulernen, befanden die Betreuer der Jugendhilfeeinrichtung Herzogsägmühle, Peiting (Kreis Weilheim-Schongau). Sie unternahmen mit dem mehrfach auffälligen »Jugendlichen Intensivtäter« einen Ausflug ins Münchner Olympiastadion. Doch der hatte andere Pläne, verschwand in der Halbzeitpause und konnte erst eine Woche später zufällig von der Polizei festgenommen werden.

Mit fast 100 Straftaten, darunter 45 schwere Diebstähle, 25 Diebstähle, mehrfache Körperverletzungen, Sachbeschädigungen und sechs Autofahrten ohne Führerschein hatte sich der 15-Jährige schon einen Stammplatz in den Polizeiberichten erobert.

Schließlich beschloss das Amtsgericht München, den bestehenden Haftbefehl gegen den Jungen auszusetzen. Statt hinter Gittern landete der Junge in verschiedenen Jugendhilfeeinrichtungen – zuletzt in Peiting. Von dort aus, weit weg von seinem Heimatort Unterschleißheim ging die Reise jedoch schnell wieder in Richtung der alten Kontakte. »Der Junge war noch nicht sehr lange bei uns«, räumt Sigrid Klasmann, Leiterin des Fachbereichs Kinder, Jugendliche und Familien in der Herzogsägmühle ein.

Doch auch die Kenntnis über seine zahlreichen Aufenthalte und die kriminelle Vorgeschichte des Jungen änderten nichts an dem Ausflugsvorhaben, bei dem die Betreuer ihren Schützling schließlich aus den Augen verloren hatten.

Am 1. Mai wurde der ausgebüchste Junge schließlich in Bad Tölz aufgegriffen, als er mit seinem 18-jährigen Garchinger Freund, laut Polizeiangaben, »in verdächtiger Weise um einen PKW herumschlich«. »Was heißt in diesem Fall ›entwischt‹?«, antwortet Klasmann auf Nachfrage. Zwar hatte er »die gerichtliche Auflage, sich bei uns aufzuhalten«, eine rechtliche Befugnis, den Jungen auch festzuhalten habe die Einrichtung jedoch nicht.

Im Gegenteil: »Die Unterbringung setzt ein Mindesmaß an Freiwilligkeit voraus«, beurteilt Klasmann fachmännisch. So freiwillig, dass sich Klasmann beim ersten Interview zunächst auch nicht an den 15-Jährigen erinnern konnte: »Hier sind über 100 Jugendliche, da krieg ich nicht mit, wenn mal einer fehlt« – oder vom erlebnispädagogischen Ausflug nicht mehr zurück kommt.

»Die Herzogsägmühle ist schon eine gut funktionierende Einrichtung«, nimmt Roland Eberwein vom Amtsgericht München das Jugendheim Peiting in Schutz. »Es ist halt keine geschlossene Unterbringung – da sind die Betreuer schlicht machtlos wenn der Jugendliche weg will.«

Wie effizient die Erlebnispädagogik bei jugendlichen Straftätern sei, zeige sich eben immer erst im Nachhinein. Inzwischen sitzt der 15-Jährige wieder in Haft. Gerald Feind

Artikel vom 10.05.2005
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