Am Freitag wurde der »Gnadenacker« in Riem geräumt

Riem · »Das war das ganze Leben«

Die Politik hat entschieden: Auf einem Acker soll man nicht wohnen in München. Widerspenstige Bewohner wurden bei der Zwangsräumung am Freitag von der Polizei abgeführt. Links »Jesus«.	Fotos: jal

Die Politik hat entschieden: Auf einem Acker soll man nicht wohnen in München. Widerspenstige Bewohner wurden bei der Zwangsräumung am Freitag von der Polizei abgeführt. Links »Jesus«. Fotos: jal

Riem · Weinend wirft sich eine Demonstrantin auf den Lehmboden, die Hunde der Bewohner des Gnadenackers sind kaum zu beruhigen. Dieter, ein Obdachloser, der sich der Räumung seines Wagens widersetzt, wird vorübergehend in Polizei-Gewahrsam genommen: Die Emotionen schlugen hoch bei der Räumung des Gnadenackers – einem einzigartigen Wohnprojekt in München, das am vergangenen Freitag sein Ende fand, weil beinahe die gesamte Stadtpolitik – ob schwarz, rot oder grün - ihre Münchner Saubermann-Linie durchsetzte.

Die ganze Nacht über hatten Demonstranten und Obdachlose hinter Barrieren aus Holzbalken und Matratzen auf das Eintreffen des Räumkommandos gewartet. Um acht Uhr war es so weit: LKW rollten an, um das Hab und Gut der Bewohner des Gnadenackers abzutransportieren. Bernhard Sitzberger, Einsatzleiter der Polizei, kündigt per Megaphon die ausnahmslose Räumung an. 30 Demonstranten entgegnen ihm in Sprechchören: »Wir wollen keine Fucker auf dem Acker« und »Solidarität, Solidarität«. Um 9 Uhr ruft die Polizei ein Verstärkungskommando. »Demonstranten, die den Acker nicht verlassen, werden weggedrängt«, kündigt Sitzberger an. »Wir bauen aber auf Vernunft.«

Kurz vor elf schließlich bricht der Widerstand der Demonstranten, denn auch »Jesus« Peter Kranawetvogl, Sprecher des Obdachlosenvereins »Ameise«, will eine friedliche Räumung: »Jünger, lasst sie kommen!« ruft er den Obdachlosen zu, damit sie Polizei und Spediteure passieren lassen. Sieben der Jugendlichen, die gekommen sind, um die Bewohner zu unterstützen, erhalten Platzverweise.

Dann werden die ersten Bauwagen ausgeräumt und abgeschleppt – unter dem Schutz von gut 70 Polizisten. Traurig beobachtet Pächter Ulrich Hoppe die Szenerie: »Was hier für manche nach Schrott aussieht, war für viele das ganze Leben«, sagt er.

In 400 Umzugskartons packen Spediteure und Mitarbeiter der Lokalbaukommission die Habseligkeiten der Obdachlosen, um sie in eine städtische Aufbewahrungsstelle zu bringen, wo sie kostenlos deponiert werden. Wo ihr neues Zuhause ist, wissen Jesus und seine Freunde noch nicht. Für viele wird der Weg wohl zurück auf die Straße führen – in das Ersatzquartier in die Leibingerstraße wollen sie nicht. Jesus: »Das ist menschenunwürdig.« Janina Lichnofsky

Artikel vom 19.04.2005
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