Die Stadt wird immer älter – doch die Seniorenbetreuung wird nicht besser

München · Ü-60 will nicht aufs Abstellgleis

Glücklich ist, wer lachen kann. Alte Menschen haben es nicht leicht in unserer Gesellschaft. Foto: Münchenstift

Glücklich ist, wer lachen kann. Alte Menschen haben es nicht leicht in unserer Gesellschaft. Foto: Münchenstift

200 Beschwerden muss die Münchner Senioren-Beschwerdestelle der Stadt jedes Jahr bearbeiten. Beinahe bei jedem Fall geht es um ein persönliches Schicksal, um ungenügende Pflege, mangelnde Betreuung, fehlende Menschlichkeit. Und verbunden mit einer hohen Dunkelziffer zeichnet die Beschwerdestelle ein „überwiegend düsteres Bild“ von der Münchner Pflegelandschaft.

Nach mehreren Pflegeskandalen hatte die Stadt 1997 diese Stelle eingerichtet, an die sich Münchner Senioren bei Problemen mit Behörden, Pflegeeinrichtungen oder im Alltag wenden können. Doch die Situation hat sich nicht spürbar verbessert, auch nicht durch die zehn so genannten Heimaufsichtsstellen, die vor einigen Jahren eingerichtet wurden. Gerade Senioren, die sich in vollstationärer Pflege befinden, beklagen sich weiterhin über ungenügende Betreuung.

Dabei geht es etwa um Beschwerden gegen Pfleger, mangelnde Betreuung oder zu geringe finanzielle Mittel, um eine gute Pflege zu gewährleisten. Als weiteres Problem sieht die Beschwerdestelle, dass die Qualität des Fachpersonals in den letzten Jahren gesunken ist und dass durch die Bevölkerungsentwicklung künftig immer mehr Menschen auf Hilfe angewiesen sein werden.

Gisela Oberloher, die sozialpolitische Sprecherin der CSU-Stadtratsfraktion fordert „hochqualifiziertes Personal im Pflegebereich und einen Arzt für jedes Altersheim“. Allerdings sieht auch sie, dass die Kosten in der Altenpflege „derzeit explodieren“ und kaum mehr von Stadt, Freistaat und Betroffenen getragen werden können.

Auch Volker Sterker von der Caritas Sozialstation in der Innenstadt bläst ins gleiche Horn – auch er hat aber keine Lösung für das Finanzierungsproblem. Sterker kennt viele Fälle, die „gerne in ein ambulantes Pflegeprogramm aufgenommen werden wollen, sich das aber nicht leisten können“.

Allein die so genannte „Grundpflege“, also Hilfe beim Waschen oder Nägel schneiden, kostet 250 bis 300 Euro monatlich. Wer Hilfe beim Einkaufen oder bei Behördengängen braucht, muss noch wesentlich tiefer in die Taschen greifen. Doch immerhin: Für die zahlungskräftigen Senioren gibt es genug Plätze in den Münchner Alten- und Pflegeheimen. „Die Lage hat sich entspannt“, sagt auch Christian Liesenhoff vom städtischen „Münchenstift“. Dort hat man auch einige betreute Senioren-WGs gebildet, in denen die Senioren einem „relativ normalen Tagesablauf“ nachgehen können und sich bei kleinen Problemen gegenseitig unter die Arme greifen.

Ein anderes Projekt hat aus zwei Nöten sprichwörtlich eine Tugend gemacht: Seit einigen Jahren bieten das Studentenwerk der Uni München und das Seniorenstift Neuhausen das Projekt „Wohnen für Hilfe“ an. Hier können sich Studenten bei Senioren einmieten. Für das Zimmer zahlen sie keine Miete, sondern helfen den Senioren im Alltag - pro Quadratmeter Wohnraum gibt’s eine Stunde Hilfe im Monat.

Das Projekt funktioniert und oft „geht es gar nicht um richtige Hilfe, sondern darum, dass noch ein Mensch im Haus ist, mit dem man reden kann“, erklärt etwa Virginia Prechtl, die einer Studentin ein Zimmer in ihrem Haus in Pasing untervermietet hat.

Und ein Blick auf die Zahlen verrät: Dieses Modell könnte Schule machen. Rund 300.000 der insgesamt 1,3 Millionen Einwohner Münchens sind 60 Jahre oder älter. Gleichzeitig gibt es etwa 100.000 Studenten, von denen viele Tausend auf Zimmersuche sind.

Senioren spielen also in München eine wichtige Rolle. Allerdings sehen sie selbst sich nicht immer ausreichend gewürdigt: „Viel zu oft geht es beim Thema Senioren nur um Pflegemissstände. Die meisten Menschen vergessen, dass die älteren Bürger aktiv mitleben wollen in dieser Gesellschaft und sich und ihre Erfahrung einbringen wollen“, sagt Rolf Bürkle, Sprecher des Seniorenbeirats München.

Ältere Menschen wollen ernst genommen werden von ihren Mitmenschen, nicht immer haben sie das Gefühl, dass dies passiert.

Um die Situation der Senioren zu verbessern, wurde vor 32 Jahren der Seniorenbeirat München gegründet. Diese Runde kann, ähnlich wie etwa auch der Ausländerbeirat, Empfehlungen an den Stadtrat abgeben. Allerdings sieht sich der Seniorenbeirat nicht nur als rein kommunales Gremium: „Wenn auf Bundesebene über Rentenreform oder Kürzungen entschieden wird, äußern wir uns natürlich auch dazu“, so Bürkle.

Als wichtigste Aufgaben ihrer Arbeit sehen die 26 Beiräte vor allem in der Beratung bei Themen wie Verbraucherschutz und Sicherheit. Außerdem sind sie Ansprechpartner für Politiker und Verbände bei seniorenspezifischen Fragen.

Noch bis zum 15. März können alle Münchner über 60 (Ausländer und Deutsche) den neuen Seniorenbeirat für die nächsten vier Jahre per Briefwahl wählen. In jedem Münchner Bezirk wird ein Beirat gewählt, für die ausländische Bevölkerung gibt es ein Extra-Gremium – ob das die Integration fördert, darf man in Frage stellen. Insgesamt haben sich für die 26 Plätze 218 Personen beworben. Vor vier Jahren lag die Wahlbeteiligung allerdings nur bei rund 40 Prozent.

Das mag auch daran liegen, dass die Stadt immer weniger Werbung macht für den Seniorenbeirat. Früher wurden sehr viele Plakate mit dem knackigen Slogan „Über 60 und kein bisschen leise“ gedruckt. Doch mittlerweile hat sich der Sparzwang der Stadt auch in diesem Bereich niedergeschlagen. Nicht nur, dass weniger Plakate gedruckt werden, auch sonst wird kaum geworben für den Seniorenbeirat. Zwar sei das Gremium „hochgeschätzt“, dennoch müsse „es auch ein wenig selber sehen, wie es bekannter werden kann“, sagt Barbara Scheuble-Schäfer, die sozialpolitische Sprecherin der SPD-Stadtratsfraktion. Von Filippo Cataldo und Janina Lichnofsky

Artikel vom 03.03.2005
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