Bereits seit 1948 existiert die »Freie Selbsthilfe«: doch es mangelt an ehrenamtlichen Helfern

Schönes, Nützliches und Nippes aus zweiter Hand

Seit 1948 eine Institution: Die »Freie Selbsthilfe«.   Langsdorf (l.) und Cartellieri helfen mit.	Foto: sos

Seit 1948 eine Institution: Die »Freie Selbsthilfe«. Langsdorf (l.) und Cartellieri helfen mit. Foto: sos

Maxvorstadt · An der Theresienstraße reihen sich namhafte Kunstgalerien an teure Designerboutiquen. Gemütliche Studentencafes drücken sich zwischen schicke japanische Feinschmeckerrestaurants und edle Einrichtungsgeschäfte.

Die Passanten sind auf der Suche nach ausgewählten Schmuckgegenständen, nach der passenden Garderobe für die nächste Einladung oder trinken einfach eine Tasse Kaffee.

Auch an der Hausnummer 66 eilen die Passanten vorbei. Kaum einer von ihnen ahnt, dass im verborgenen Hinterhof wohl einer der kuriosesten Läden des Viertels zu entdecken ist.

Nur ein unscheinbares weißes Schild an der Garageneinfahrt mit dem roten Schriftzug: »Freie Selbsthilfe Secondhand-Laden« macht auf das Versteck aufmerksam. In einer zweistöckigen Etagenwohnung im Rückgebäude betreibt die »Freie Selbsthilfe« (geöffnet am Montag, Dienstag, Mittwoch und Freitag, 10 bis 16 Uhr, Donnerstag, 13 bis 18.30 Uhr, Samstag, 11 bis 14 Uhr) bestehend aus über 40 ehrenamtlichen Seniorinnen von 63 bis 93 Jahren seit einigen Jahrzehnten den wohl ältesten Secondhand-Laden der Republik.

Angefangen hat alles 1948 in einem ausrangierten Zirkuswagen. Die Währungsreform stürzte viele Menschen in Armut, sie waren gezwungen, ihre Wertgegenstände zu verkaufen. Zwölf engagierte Damen ergriffen die Initiative und gründeten einen Secondhand-Laden. »Später zog der Laden erst in einen Pferdestall des Circus Krone, bevor er schließlich in der Theresienstraße sein Zuhause fand«, erzählt Ilse Marie Langsdorf, eine der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen der freien Selbsthilfe.

Seitdem haben sich dort Kunst, Antiquitäten und Kleidung angesammelt. Das Warenangebot erweitert sich ständig und die Etagenwohnung scheint bald aus allen Nähten zu platzen. Deswegen wird inzwischen streng auf das Lager geschaut: »Kleidung muss nach zwei Monaten wieder abgeholt werden, wenn sie nicht verkauft wird. Sonst wird sie an eine karitative Einrichtung weitergegeben«, erzählt Langsdorf. Trotzdem ist die Auswahl in der Boutique groß und lässt Frauenherzen höher schlagen.

Paillettenbesetzte Cocktailkleider passend zum samtenen Handtäschchen und pinkfarbenen Stöckelschuhen aus den 50er Jahren, sind nur ein paar der wunderbaren Fundstücke. Doch auch Haushaltswaren und sogar Schmuck lässt sich im Laden erwerben: Aus einem schwarzen Samtkästchen zaubert Langsdorf Goldbroschen, Edelsteinketten und perlenbesetzte Silberringe. Die wertvollen Stücke warten alle auf die nächste Trägerin, deren Hals oder Finger sie zieren dürfen.

Manche Kunden können sich nur schwer von jahrelang aufbewahrten Erinnerungen trennen, die sie schweren Herzens zur »Freien Selbsthilfe« bringen. »Oft müssen sich Kunden aus finanziellen Schwierigkeiten von ihren Habseligkeiten trennen oder weil sie bald ins Heim ziehen.« Viele der Kunden kommen schon seit Jahren in den Laden, etwa »Frau Linke«, wie Waltraud Cartellieri erzählt. »Sie bringt immer die schönsten Sachen.« Heute hat »Frau Linke« ein bunt bedrucktes Kopftuch dabei, dass sie über dem Verkaufstisch ausbreitet.

Waltraud Cartellieri begutachtet es kritisch, schließlich muss sie nun einen fairen Preis festsetzten. »Aber die Arbeit der Freien Selbsthilfe gründet auf sozialer Basis und die Preise sind dementsprechend niedrig« betont sie. Trotzdem achte sie darauf, dass die Ware immer noch gut erhalten und in Mode sei. Cartellieri berichtet, dass früher im Laden »nur Damen von und zu beschäftigt waren. Eingekauft haben hier vor allem junge Frauen, die sich für den nächsten Tanztee einkleiden wollten, aber sich Kostüm- und Abendkleid in schicken Kaufhäusern nicht leisten konnten.«

Heute sei das anders. Nun müssen sie um die Zukunft ihres Ladens bangen, denn »es finden sich immer weniger Seniorinnen, die bereit sind, ehrenamtlich Antiquitäten oder Kleidung an den Mann oder Frau zu bringen«. Sophia Seiderer

Artikel vom 13.01.2005
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