Unterschleißheimer Heimatmuseum beschäftigt sich mit der NS-Vergangenheit

Nichts als die Wahrheit

Unterschleißheim · Nüchtern, fast unterkühlt bleibt die Stimme, wenn Wolfgang Christoph erzählt. »55 Prozent waren für die Nazis.« 1933, zur Machtergreifung Adolf Hitlers, hätten die Nationalsozialisten in Unterschleißheim die Mehrheit hinter sich gehabt.

Nur einer von vielen bedrückenden wie erstaunlichen Fakten, die Christoph bei seinen Forschungen in Staatsarchiven und Bibliotheken zur jüngeren Vergangenheit seiner Heimat herausgefunden hat. »Nächstes Jahr jährt sich das Kriegsende zum 60. Mal, das ist der Anlass zu unserer aktuellen Ausstellung.« Seit fast vier Jahren trägt der Unterschleißheimer Geschichtsforscher nun schon Belegstücke und Daten aus den 30er- bis 60er-Jahren zusammen, um einen umfassenden Blick auf den Münchner Norden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu werfen.

Im kommenden März soll die Neuauflage einer dokumentarischen Ausstellung die Hintergründe der NS-Vergangenheit in der Region erneut beleuchten. »Ich will niemanden verleumden, ich will aufklären«, macht Christoph fest. Im Gegensatz zur Ausstellung vor zwei Jahren werde das Heimatmuseum diesmal mit weniger Exponaten und Leihgaben auskommen. »Kein Schnick-Schnack«, fordert Christoph, »sondern die Wahrheit!«

Die Schautafeln sind bereits seit Wochen in Bearbeitung. Über vier Jahre dauern die Recherchen des Seniorenstudenten Wolfgang Christoph schon an – kein Ende in Sicht. Die neue Ausstellung »Das dritte Reich in Unterschleißheim« vor Augen startete das Heimatmuseum zusammen mit der Stadt nun einen Aufruf an alle Bürger, sich an der Sammlung aktiv zu beteiligen.

Christoph: »Wer einen Nachlass entrümpelt oder in alten Unterlagen kramt, der kann auch gerne zu uns kommen und sich beraten lassen.« Schon manch vergessen geglaubte Kostbarkeit tat sich dabei auf. Zeitungsschnipsel, Dokumente und Ausweispapiere aus Kriegs- und Nachkriegsjahren, sogar ein altes Schulbuch mit NS-Rechenaufgaben finden sich im Heimatmuseum wieder. »Damals mussten die Schulkinder errechnen können, wie viel ein Behinderter den Staat kostet...«, mahnt Christoph.

Und obwohl die Unterschleißheimer nach Meinung des Experten »nicht besonders aktiv gewesen« seien, »München war doch die ›Hauptstadt der Bewegung‹ und dem konnte sich das Umland auch nicht so einfach entziehen«. So mehrten sich die Hinweise, dass unter »harmlosen Mitläufern und einigen Wichtigtuern« auch ein paar besonders glühende Anhänger der NS-Ideologie auf dem Land zu finden gewesen seien. »Vorauseilender Gehorsam war besonders typisch für einige Leute in dieser Region«, berichtet der Museumsleiter von manchem Unheil, das die Fanatiker anrichteten. Judenhass und die Hatz auf Kommunisten sowie Sozialdemokraten hätten schon vor Machtergreifung und Kriegsbeginn zu zahlreichen gewaltsamen zivilen Übergriffen geführt.

»Diese Greuel dürfen nicht in Vergessenheit geraten!« Deshalb sei es vor allem die Jugend, die Christoph mit der Dokumentation im nächsten Jahr ansprechen möchte. Lesungen und Führungen sind ergänzend geplant. Rund 40 Schautafeln zeigen Dokumente, Fotografien und Abbildungen über die unterschiedlichen Facetten von Krieg, Nationalsozialismus und Nachkriegszeit vor den Toren der Landeshauptstadt. Zudem gehen die Informationen auch auf Geschichte und Ideologie der Nazis ein. Und obwohl das Heimatmuseum dem »Schnick-Schnack« keinen Platz einräumen möchte – einige besonders sehenswerte Exponate, ein SS-Gardedolch etwa, werden in einer Vitrine gesondert gezeigt.

Wer ergänzende Informationen, Dokumente oder Ausstellungsstücke beisteuern möchte, könne sich jederzeit ans Heimatmuseum wenden, versichert Christoph. Informationen und Kontakt unter 310 09 266. Gerald Feind

Artikel vom 01.12.2004
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