»Mitten unter uns«: Bürgerprojekt zeigt jüdisches Leben in Au und Haidhausen

Schicksale von Nachbarn

Auf den Spuren jüdischen Lebens in Au und Haidhausen: zur Ausstellungseröffnung kamen Rolf Menzias und Bertha Leverton aus London und Inge Sadan aus Jerusalem, hier im Gespräch mit Ellen Presser (2.v.r.), Leiterin des Kulturzentrums der Israelitischen Kul

Auf den Spuren jüdischen Lebens in Au und Haidhausen: zur Ausstellungseröffnung kamen Rolf Menzias und Bertha Leverton aus London und Inge Sadan aus Jerusalem, hier im Gespräch mit Ellen Presser (2.v.r.), Leiterin des Kulturzentrums der Israelitischen Kul

Au-Haidhausen · Aus dem Protest zahlreicher Anwohner rund um den Mariahilfplatz gegen eine geplante NPD-Kundgebung ist im Jahr 2000 ein interessantes Bürgerprojekt entstanden.

Um die bis dahin völlig in Vergessenheit geratenen Spuren früheren jüdischen Lebens in den Stadtteilen am östlichen Isarufer zu erforschen, haben an die 20 Bewohner zwischen 25 und 70 Jahren aus der Au und Haidhausen und anderen Stadtbezirken seit einem Jahr in ihrer Freizeit intensiv in Archiven recherchiert und Zeitzeugen befragt.

Die Ergebnisse sind seit vergangener Woche in einer Ausstellung zu sehen: bis 17. Dezember im Foyer der Münchner Stadtbibliothek, Rosenheimer Straße 5, (Montag von 10 bis 20 Uhr und von Dienstag bis Freitag jeweils von 10 bis 19 Uhr, der Eintritt ist frei, Führungen durch die Ausstellung können unter Tel. 28 80 96 69 vereinbart werden). Die Zeitzeugeninterviews sind in der Musikbibliothek, Ebene 0.1., am Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag jeweils um 17 Uhr zu hören.

»Mitten unter uns« haben die Geschichtswerkstättler als Titel für das Projekt gewählt. »Anhand ausgewählter Lebensschicksale in Au und Haidhausen ansässiger jüdischer Familien ab 1850 bis zur Gegenwart wollen wir an den Beitrag dieser Familien zur Münchner Stadtgeschichte erinnern«, erzählt Ausstellungskurator Michael Kaufmann. »Dabei soll die Selbstverständlichkeit des Miteinanders im Stadtteil deutlich werden, die die NS-Zeit brutal zerstört hat.«

Bei dem Projekt, dessen Träger die Pfarrei St. Johannes, die Münchner Stadtbibliothek, das Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München und der Verein »Gegen Vergessen – Für Demokratie« sind, geht es um freundliche und gefährliche Nachbarschaften: etwa die Familie Edel und die Feuchtwangers, denen schräg gegenüber Hitler privat residierte. Es geht um erfolgreiche Firmengeschichten wie die der Likörfabrik Meyer & Hirsch am Bereiteranger, die Möbelfirma Beissbarth & Hoffmann in der Orleansstraße, die Eugen Bühler zu Prosperität geführt hatte, oder auch die Margarinefabrik Neumann & Feuchtwanger in der Grillparzerstraße.

Und es geht um Firmen- und Wohnraumarisierung, Ärzte und Gelehrte, Anwälte, Künstler und Gewerbetreibende, um Männer, Frauen und Kinder, die sich zuhause fühlten, bis die nationalsozialistische Machtergreifung die Wende zu kontinuierlich aggressiverer Entrechtung und Ausgrenzung brachte – bis hin zu den Nürnberger Rassegesetzen, zu Denunziation, Gerichtsverfahren, Verfolgung und Deportation.

Es geht darum, die Namen derer in Erinnerung bringen, an die nichts im Stadtteil erinnert. 299 Namen füllen die Gedenkliste. So gut wie niemand kehrte zurück. Auch wenn die Familie Schülein, Gründer der Unionsbrauerei, der Stadt München nie die Heimatliebe aufkündigte, sondern ganz im Gegenteil zum Wiederaufbau Münchens tatkräftig beitrug. Mit jüdischen DPs (Displaced Persons), die von der Museumsinsel über das Müller’sche Volksbad über Haidhausen bis nach Bogenhausen kamen, gab es nach 1945 dann so etwas wie einen Neuanfang Richtung Normalität.

Rundgänge und Diskussionen Programm zu »Jüdisches Leben in Au und Haidhausen«

Au-Haidhausen · Zum Bürgerprojekt »Jüdisches Leben in Au und Haidhausen« (Ausstellung derzeit bis 17. Dezember im Foyer der Münchner Stadtbibliothek, Rosenheimer Straße 5, zu sehen, Montag von 10 bis 20 Uhr und von Dienstag bis Freitag jeweils von 10 bis 19 Uhr, der Eintritt ist frei) gibt es ein interessantes Begleitprogramm zum Thema:

Sonntag, 21. November, 14 bis 15.30 Uhr Stadtteilrundgang: Vom Alltag der jüdischen Nachbarn in Au und Haidhausen und ihrem Schicksal vor und während der NS-Zeit. Anmeldung bei der Münchner Volkshochschule, Kurs-Nr. CM112, Tel. 74 80 06 62 39.

Donnerstag, 25. November, 19.30 Uhr Karl Süssheim – ein bayerischer Orientalist zwischen München und Istanbul. Vortrag in St. Johannes am Preysingplatz von Prof. Dr. Klaus Kreiser, Lehrstuhl für türkische Sprache, Geschichte und Kultur, Universität Bamberg

Dienstag, 30. November, 20 Uhr Präsentation neuer Forschungsarbeiten über Jüdisches Leben in München am Beispiel der Feuchtwangers und Schüleins in der Black Box/Gasteig, Rosenheimer Straße 5. Anne Munding spricht über »Arisierung« und Wiedergutmachung in München im Falle von Dr. Hermann Schülein. Die Referentin ist wissenschaftliche Projektmitarbeiterin am Institut für Zeitgeschichte, München. Heike Sprecht referiert über »Die Feuchtwangers in München«. Sie erhielt für ihre Dissertation im Juli 2004 den Hochschulpreis der Landeshauptstadt München. Prof. Dr. Michael Brenner, Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur der LMU, moderiert. Der Eintritt ist frei.

Montag, 2. Dezember, 19.30 Uhr Theologische Reflexionen zum Antijudaismus im Johannes-Evangelium. Vortrag von Pfarrerin Ursula Leitz-Zeilinger in St. Johannes am Preysingplatz. Eintritt frei.

Donnerstag, 9. Dezember, 19.30 Uhr »Der olle Hitler soll sterben!« Erinnerungen an den jüdischen Kindertransport nach England. Lesung in der Humboldtstraße 12.

Donnerstag, 16. Dezember, 18 Uhr »Mitten unter uns – Jüdisches Leben in Au und Haidhausen«. Vortrag und Diskussion mit Michael Kaufmann, Kurator der Ausstellung, im Konferenzzentrum der Hanns-Seidel-Stiftung e.V., Lazarettstr. 33. Eintritt frei.

Artikel vom 16.11.2004
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