Die SPD-Stadtratsfraktion auf dem Weg durchs Münchner Nachtleben

Die Suche nach dem Kult

SPD-Stadträte Strobl, Tausend und Gradl auf der Suche nach Kultur.	Foto: smuth

SPD-Stadträte Strobl, Tausend und Gradl auf der Suche nach Kultur. Foto: smuth

Haidhausen · Jetzt ist doch tatsächlich Nikolaus Gradl verschwunden. Kaum war der erste Club besichtigt, kaum war der erste Erdbeerlimes aus Plastikbechern getrunken, fehlt schon der Wichtigste.

Ist doch der junge Student und Stadtrat Nikolaus Gradl Mitglied im Kulturausschuss, und um Kultur soll es heute Abend irgendwie gehen, genauer um »Münchens Hallen- und Clubkultur«. So steht es auf dem Infozettel. Nikolaus ist weg. Christine Strobl, die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Stadtratsfraktion, nimmt das zum Anlass, erst Mal »Niki? Nieee-kieee!« zu rufen. Zwischendrin kichert Christine Strobl. Auch sie hat Limes getrunken.

Vergangenen Freitag hatte die SPD-Fraktion zu einer Pressefahrt geladen, um eben jene »Hallen- und Clubkultur« zu begutachten. Schon bei der Einladung wunderten wir uns. Wird es als Präsent kleine Kräuterschnaps-Fläschchen mit SPD-Etikett geben? (»Wir spülen’s runter! Ihre SPD.«) Wie soll so eine Pressefahrt ablaufen? Man zieht durch Clubs (noch nichts Unübliches), nimmt in jedem einen Drink (immer noch durchaus üblich), scheitert an manchen Türstehern (passiert), ist irgendwann betrunken (natürlich) und landet zum Schluss im Rathaus, wo Christian Udes Minibar herhalten muss und anschließend ein wenig randaliert wird (äußerst ungewohnt)?

Es ist halb elf, und ihren Lauf nimmt eine zweistündige Werbeveranstaltung weniger für die SPD als für ein Diskotheken-Areal, dessen Beschreibung vor allem aus »ehemalig« besteht. Wir befinden uns im ehemaligen »Kunstpark Ost«, der jetzigen »Kultfabrik«. Wo Kult und Kultur in den ehemaligen Industrie-Wracks steckt, wird sich auch heute nicht lüften. Aber vielleicht ist Trinken auch Kultur. Wie diese hier aussieht, erfahren wir in der ehemaligen Bongo Bar, im »Living 4«: Es gibt Limes aus Plastik-Stamperl.

Draußen dann der Vermissten-Fall Nikolaus Gradl. »Nieee-kiee!« ruft Christine Strobl, ist aber gleich wieder beruhigt, denn Gradl ist wieder aufgetaucht. Er war nur etwas länger im »Living 4«. Vielleicht suchte er nach dem Grund, wofür der Club eigentlich lebt. Vielleicht suchte er auch einfach nur seinen roten Schal. Der steht ihm, und er trägt ihn mit Würde, schließlich sitzt er für die SPD im Stadtrat.

Dort steht bald die Entscheidung an, ob und mit wem es einen »Kunstpark Nord« in Fröttmaning geben soll. Auch die »Kultfabrik«-Macher sind Bewerber dafür. Sie bemühen sich redlich, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Der ist vor allem flüssig und enthält Alkohol. Weil Clubkultur aber vor allem in der Innenstadt stattfindet, muss noch das »Atomic Café« besichtigt werden. Vor der Tür warten Etliche auf Einlass. Doch wer auf Pressefahrt ist, kann nicht warten. Also rein. Drinnen ist es voll – der erste Club heute, der schön ist und auch noch Gäste hat. Zeit für einen Drink bleibt trotzdem nicht. Die Massenabfertigung in der Großraum-Disco an der Landsberger Straße, dem »4004«, will auch noch gesehen werden. Auf dem Weg dorthin noch schnell ein Blick in die »Erste Liga«, nahe des Marienplatzes.

Der Kellerclub ist notorisch überfüllt, die Tür bezeichnen viele als »hart«. Beinahe wäre die Pressefahrt an ihr gescheitert. Unten angekommen, bestellen wir uns ein Getränk. Die Eiswürfel sind noch nicht geschmolzen, als wir bemerken, dass die Pressefahrt scheinbar schon weiterging. So flüchtig ist die Clubkultur, so hastig die SPD auf ihrem Weg ins »4004«. Wenigstens erleben wir echte Trinkkultur: Die Drinks gibt es in Gläsern, und Limes steht nicht auf der Karte. Als wir später am Rathaus vorbeikommen, brennt oben Licht. Florian Falterer

Artikel vom 14.01.2004
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