Fußball im i-camp mit »Nullzunull«

Theater wird zum Stadion

Künstler treten an, Fußball in Kunst zu verwandeln – oder umgekehrt. 	Foto: Veranstalter

Künstler treten an, Fußball in Kunst zu verwandeln – oder umgekehrt. Foto: Veranstalter

Was sonst als Fußball? Wenn die bayerische Landeshauptstadt wegen eines spektakulären Stadionneubaus, wegen der 2006 bevorstehenden Weltmeisterschaft, wegen der alljährlichen Meisterschaften und Pokalgewinne des FC Bayern in pflichtschuldigen Jubeltaumel verfällt...

...dann bleibt es in der künstlerischen Szene merkwürdig still. Effenberger + Lesjak jedoch haben sich vorgenommen, diese Barriere niederzureißen. Ihr neues Tanzstück nullzunull – ein spiel holt sich vom Fußball die eingefahrenen Riten ebenso wie die festgeschriebenen Regeln, nimmt sich die spielerischen Momente ebenso wie die unvorhersehbaren Glückserlebnisse vom 11. bis 14. September, 20.30 Uhr, im i-camp, Entenbachstraße 37. Das Spiel mit und ohne den Ball entsteht aus dem Mit- und Gegeneinander der am Stück beteiligten Kunstsparten, die, wie schon in ihren vorhergehenden Arbeiten, auch in nullzunull wieder zusammenkommen: Tanz, Schauspiel, Musik und Bildende Kunst lassen sich auf den Wechsel von Komposition und Improvisation ein. Aus der Musik entstehen Bewegungselemente für den Tanz, der wiederum die Formen der Malerei und Videos bestimmt, die dann den Duktus der Sprechtexte verändern. Die Vorlage für dieses Spiel lässt sich im Mannschaftssport Fußball finden. Hier wie dort müssen die Teams ihr eigenes Feld kontrollieren, um mit präzisen Vorstößen in den gegnerischen Raum vorzudringen, um aus dem taktischen Feldvorteil die Torchance sich zu erarbeiten. Dabei ist die Geschichte des Stücks in einer Dramaturgie an einem Nachmittag im Stadion orientiert. Das Theater wird zum Sportplatz mit all seinen Zutaten: Videowand, Klangtor, Zuschauerränge, Spielerbank, Reporterplatz. Dieses Spielfeld ist offen für freie Interventionen, stellt aber auch den festen Assoziationsrahmen her. Denn vom Einlaufen der Spieler, über das Aufwärmen, die Musik der Fanblöcke den Auftritt des Schiedsrichters, den Anpfiff und schließlich auch das Match selbst mit seinen Zweikämpfen, den taktischen Spielchen, den Fouls und den Torraumszenen ist alles in dem Stück vorhanden, doch ist es – jenseits des Zitats und der reinen Persiflage – Spielmaterial für die am Stück beteiligten Tänzer, Musiker, Schauspieler, Künstler. Dabei wird ein Fußballspiel heutzutage kaum noch in seiner unmittelbaren Form wahrgenommen. Selbst auf dem Dorfbolzplatz werden die Rituale aus der Bundesliga übernommen. Deren mediale Vermittlung bestimmt das Bild. Durch die Radioschaltkonferenz mit ihren sich überstürzenden Tormeldungen zum Ende der 90 Minuten, durch die Spielberichte im Fernsehen mit den harten Schnitten auf die Höhepunkte, mit den immer neuen Zeitlupen, den selten erhellenden Spielerinterviews und schließlich durch die Spielberichte in den Zeitungen mit ihrem analytischen Anspruch und den stillgestellten Großfotos des Torjubels oder des spielentscheidenden Fouls: all diese Instanzen vernichten die Ursprünglichkeit des archaischen Kampfes um den Sieg. Längst schon gilt nicht mehr: »Watt zählt is auf’m Platz«. Und so sind auch diese Verschiebungen Bestandteil von nullzunull geworden. Denn auch der Kampf der Medien um die Deutungsherrschaft über das Spiel bietet reichlich Material für das Zusammentreffen der Protagonisten des Stücks. Vom Trainer bis zum Kommentator reißen sie für Momente die Handlungen an sich, um gleich wieder im Spielfluss unterzugehen. Dazwischen stehen die Szenen zärtlichen Torjubels und der Zweikampf zweier Gegner um die Herrschaft über den Ball.

Artikel vom 05.09.2003
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