70. Jahrestag der Bücherverbrennungen/ Lesung auf dem Königsplatz

Verdrängte Geschichte?

Über die Münchner NS-Vergangenheit sollte kein Gras wachsen, findet Wolfram P. Kastner (r.).	Fotos: rme

Über die Münchner NS-Vergangenheit sollte kein Gras wachsen, findet Wolfram P. Kastner (r.). Fotos: rme

Maxvorstadt · 70 Jahre hat es gedauert, bis München las. 70 Jahre hat es gedauert, bis der Mantel des Schweigens endlich abgelegt wurde.

Bis man das Gras, das inzwischen über die Münchner Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 gewachsen ist, zumindest bildlich niedermähen konnte. Auch wenn verschiedene Schilder auf dem Königsplatz darauf hinwiesen, dass hier immer noch »Deutscher Rasen, amtlich geschützt vor Erinnerung« sprieße.

Doch viele Müchner wollen die Erinnerung offensichtlich nicht länger verdrängen. Symbolisch setzten sie die Sense an das hoch gewachsene Gras der Geschichte an, indem sie selbst vorlasen – aus einst verbrannten und gebrandmarkten Büchern. »Die Zahl der Anmeldungen zum Vorlesen war so groß, dass wir bei weitem nicht alle berücksichtigen konnten«, verkündete Initiator Wolfram P. Kastner vom Münchner Institut für Kunst und Forschung, zu Beginn des Lese-Marathons.

Wegen des großen Andrangs hatte er die Lesung sogar um zwei Stunden bis auf 21 Uhr verlängert. So kamen Autoren wie Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Erich Kästner oder Stefan Zweig endlich dort wieder zu ihrem Recht, wo ihnen vor 70 Jahren unsägliche Schmach widerfahren war: auf dem Münchner Königsplatz. Aufgerufen zu der Bücherverbrennung hatte damals die Studentenschaft der Ludwig-Maximilian-Universität (LMU) und der Technischen Hochschule München. Umso erstaunlicher ist es daher, dass die LMU nicht zur Mitwirkung an der Gedenkveranstaltung bereit war.

Der Rektor habe das damit begründet, »dass die Uni damals ja nur am Rande beteiligt gewesen sei«, meint Kastner kopfschüttelnd und fügt hinzu: »Es ist schon bedenklich, wenn so wenig Wissen um die eigene Geschichte vorhanden ist. – Und wenn er um die Geschichte weiß, dann ist es eine Schande, sich zu verweigern.«

Überhaupt sei der Weg bis zur Gedenkveranstaltung am historischen Tatort lang und steinig gewesen, seufzt Kastner. Obwohl das Kulturreferat als Mitveranstalter auftrat, habe sich die Stadt nicht in jeder Hinsicht kooperativ gezeigt. So sei sein Vorschlag, ein Stück Rasen auf dem Königsplatz symbolisch zu verbrennen – als Mahnung, dass nie Gras über die NS-Vergangenheit wachsen dürfe – nach 1995 nun schon zum zweiten Mal abgelehnt worden: »Begründung: Dieser Brandfleck sei ein zu tiefer Eingriff in den Rasenbestand«, so Kastner.

Umso engagierter setzt sich der Bezirksausschuss Maxvorstadt für die Erinnerungsarbeit ein: der Bezirksausschuss Maxvorstadt hat anlässlich des Jahrestages der Bücherverbrennung ein Info-Plakat neu herausgegeben, das die Münchner NS-Vergangenheit in Wort und Bild dokumentiert. rme

Artikel vom 15.05.2003
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