Dank anonyme Spender kehren die Dachreiter aufs Rathausdach zurück

Gänzlich »sinnlos«, aber wirklich schön!

Kunstschmied Josef Forstmeier und seine Kollegen bringen nach und nach die schmiedeeisernen Dachreiter auf dem Rathausdach an. 	Fotos: ms

Kunstschmied Josef Forstmeier und seine Kollegen bringen nach und nach die schmiedeeisernen Dachreiter auf dem Rathausdach an. Fotos: ms

Altstadt · Niemand hat sie vermisst bisher. Schade eigentlich. Dabei gehörten sie doch von Anfang an dazu, laut den ersten Plänen von Architekt Georg Hauberisser 1865.

Die Rede ist von den schmiedeeisernen Dachreitern auf dem Neuen Rathaus am Marienplatz, eines der beliebtesten Touristenattraktionen Münchens.

Die Fremden kennen allerdings zumeist nur einen Fixpunkt: Das Glockenspiel. Scharf links daneben: Ja genau, das sind sie, die neuen Dachreiter! Zwar ist die Reihe noch nicht komplett. Doch Handwerker bringen derzeit auf dem 100 Meter langen Dachfirst die kunstvoll geschmiedeten Dachreiter an. »Ich bin nicht schwindelfrei«, gesteht Josef Forstmeier, »Mir wird da oben spei- übel«.

Seit drei Wochen schraubt der Kunstschmied die 100 Kilo schweren Eisenstücke an. Etwa 30 Stunden arbeitete Forstmeier an jedem der rund 55 Teilstücke, Sie sind ihren historischen Vorgängern nachempfunden, die im zweiten Weltkrieg vollständig zerstört wurden.

Als Vorlage dienten ihm Originalpläne und Fotos der alten Rathausfassade. Aber jetzt hilft alles Jammern nix. Forstmaier, ein gestandener Mann mit mächtigem Bart, muß jetzt gleich rauf aufs Dach.

Gerade zieht er mit seinem Kollegen Alfons Piechatschek das 1,80 Meter breite und 1,60 Meter hohe Schmiedwerk per Flaschenzug nach oben. Die Touristen beachten die Szenerie im Prunkhof nicht weiter, nur ein Häufchen Vertreter der Presse, eingeladen von Baureferent Horst Haffner. Das Neue Rathaus, speziell das Dach wurde, im zweiten Weltkrieg schwer beschädigt.

Doch die Rekonstruktion des neugotischen Bauwerks (Grundsteinlegung 1867) ist bis heute nicht abgeschlossen. Allerdings fehlte dem Baureferat bisher das nötige Geld, schließlich handelt es sich um reinen Dekor.

Doch die Kosten von 320.000 Euro für Schmiedearbeiten und Montage übernimmt ein Münchner Ehepaar, das diese Summe an den Münchner Kulturbaufonds spendete. Der ehrenamtlich verwaltete und von Bürgerspenden getragene Münchner Kulturbaufond hat es sich zur Aufgabe gemacht, Münchner Kulturdenkmäler zu erhalten und sie wiederherzustellen, z.B. das Siegestor, die Propyläen oder die Münchner Brunnen.

Der Dachreiter ist nun heil oben angekommen. Dann erklimmen die Handwerker das Gerüst und klettern hinauf in schwindelnde Höhen, auf etwa 40 Meter.

Presse samt Baureferent Haffner und hauseigene Presseabteilung folgt – allerdings auf dem bequemen Weg im Aufzug. Endstation ist der neunten Stock. Und Haffner gesteht: »Das ist das erstemal, dass ich hier oben bin«. Vom schmalen Westbalkon beobachten wir Forstmaier und seine Mannen, wie sie den Dachreiter anschrauben. Scheint gar nicht so einfach zu sein.

Mit Ranken- und Blütenmotiven verziert, passen die Repliken in die Linie floraler Motive an dem rund 135 Jahre alten Gebäude. Eine schöne Aussicht hat man hier. Gelegenheit, eine kurze Auszeit zu nehmen vom Alltagsgeschehen. Mitten in München, mittags um halb 12. Dumpf schallen die Geräusche vom Marienplatz nach oben. Leute wuseln über den Platz. So nah und doch so fern.

Auch die Pressefrau läßt ihren Blick genießerisch in die Ferne schweifen. Vor uns ragen die Frauentürme empor, rechts blitzt ockergelb die Theatinerkirche. Ein leichtes Lüftchen umstreicht uns. Der Kunstschmied mit Kollegen müht sich immer noch ab. Für ihn ist der Ausblick wohl nichts Besonderes mehr. Doch auch uns ruft die Arbeit. Also zurück zum Aufzug, geschwind geht´s gen Erdgeschoß: Die Welt hat uns wieder, jeder eilt von dannen.

Und auch Wochen danach legt man beim Queren des Marienplatzes einen kurzen Stopp ein, blickt nach oben und freut sich über die filigrane Dachzierde: Gänzlich sinnlos, aber schön! ms

Artikel vom 29.08.2002
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