Die Autorin Hella Schlumberger kennt sich aus in der Türkenstraße

Hier wohnt ein ganz besonderer Geist

Hella Schlumberger (gestützt auf Kanonenkugeln) ist keine "Baronin Münchhausen", sondern eine gewissenhafte Beobachterin, die in ihren Büchern gerne die Menschen selbst zu Wort kommen lässt.

Hella Schlumberger (gestützt auf Kanonenkugeln) ist keine "Baronin Münchhausen", sondern eine gewissenhafte Beobachterin, die in ihren Büchern gerne die Menschen selbst zu Wort kommen lässt.

Maxvorstadt · Maxvorstadt oder Sizilien? Wer das Vorderhaus der Türkenstraße Nummer 61 hinter sich gelassen hat, wähnt sich in südlichen Gefilden.

Nicht nur wegen der vielen exotischen Pflanzen, die in den Hinterhöfen sprießen, nicht nur wegen der mannigfaltigen Gerüche und der lautstarken Wortwechsel, die aus den geöffneten Fenstern dringen.

Und nicht nur wegen der drei Frauen, die gemütlich an einem wackligen Tischchen im Hof sitzen, um bei einem Zigarettchen die neuesten Neuigkeiten aus der Nachbarschaft »aufzuarbeiten«. Auf die Frage, wo denn hier Frau Schlumberger wohne, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: Im dritten Stock - dort, wo die Palmen stehen.

Und tatsächlich: Hinter einer hübschen Fassade von Palmen und bunt zusammengewürfelten Wäschestücken – ganz südländisch im Treppenhaus zum Trocknen aufgehängt – wartet sie schon, die Hella Schlumberger: Buchautorin, Weltenbummlerin und (vor über 30 Jahren zug´roastes) Münchner Original.

Mit ihrem Buch über die Türkenstraße und ihre Bewohner, erschienen im Jahr 1998, hat sie Aufsehen erregt: nicht nur, weil darin die Menschen selbst zu Wort kommen, in aller Ausführlichkeit, und nicht nur, weil hier wirklich Geschichten erzählt werden, die das (Zusammen-)Leben schrieb. – Nicht nur, aber auch.

»In der Türkenstraße geht man nie direkt von A nach B«, erzählt Hella Schlumberger mit sympathischer Reibeisenstimme, während sie sich genüsslich eine Zigarette anzündet. »Man hat es zwar vor, aber dann trifft man diesen und jenen und fragt da und dort.« Genau das sei eben das Schöne an dieser Straße: die Kombination von Geben und Nehmen – nicht »einfach nur dasitzen, gucken und was trinken«, also passiv konsumieren, sondern ihn selbst aktiv mitgestalten, den »Geist der Straße«.

Hella Schlumberger tut das seit Jahrzehnten: Sie hat am Zustandekommen des ersten Türkenstraßen-Festes (noch bevor das Kulturreferat sich einschaltete!) ebenso Anteil wie daran, dass der Georg-Elser-Platz heute so heißt, wie er heißt – und damit an einen bisher eher als »Außenseiter« behandelten Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime erinnert.

Vor vier Jahren, als Schlumbergers Buch über die Türkenstraße erschien, sei die Welt hier allerdings noch etwas heiler gewesen, meint sie: »Jetzt sehe ich die Gefahr, dass irgendwann die Stimmung kippt. Es macht sich ein Ton breit, der sehr egoistisch ist.« Nicht ganz unschuldig daran sei die Kunst, so die Ansicht der Künstlerin: »Wir haben inzwischen drei Galerien in der Straße. Wir werden schick!

Und wenn jetzt noch die Pinakothek der Moderne eröffnet ist, dann zieht es sicher auch immer mehr Leute hierher, um hier zu wohnen. Dadurch wird das Leben in der Türkenstraße teurer.« Und womöglich, so argwöhnt Schlumberger, werde das Viertel dann irgendwann das gleiche Schicksal erleiden wie Schwabing, wo es der urwüchsigen, nicht vom Kommerz verfälschten »Power-Kunst« ja auch irgendwann an den Kragen gegangen sei.

Vorerst herrscht allerdings noch keine Katastrophenstimmung: Solange es noch den unter der Hand gewährten »Türkenstraßenrabatt« gibt und viele Hausgemeinschaften zusammenhalten wie Pech und Schwefel. Solange Polsterer Martin zusammen mit Erich, dem Ofenbauer und Heini vom Kinderpädagogischen Zentrum im Hof Holz für den Winter sägt. Solange man die Geldpreise für den schönsten Hinterhof der Stadt »sinnlos verfeiert«, weil der »Bayer an sich« Feste nun mal so sehr liebt.

Trotzdem wird Hella Schlumberger in ihrem neuen Buch, das Ende des Jahres erscheinen soll, »ihrer« Türkenstraße untreu. Es zieht sie auf die Münchener Freiheit, aber auch gen Mittelmeer, auf eine chinesische »Dschunke«. Vielleicht hat sie ja das exotische Flair ihres Hinterhofs zu dieser »Ausschweifung« inspiriert?

Artikel vom 29.08.2002
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